taz, 21.11.2019
Joachim Lange
 
Korngold: Die tote Stadt, Bayerische Staatsoper, ab 18. November 2019
Marilyn-Perücke als Reliquie
 
Alle Vorstellungen der Korngold-Oper „Die tote Stadt“ in München in diesem Jahr sind schon ausverkauft. Das liegt nicht nur an Simon Stone.
Zumindest beim euphorischen Schlussapplaus war der auf vielen Hochzeiten tanzende Regisseur Simon Stone persönlich zur Stelle. Inwieweit und wie oft er selbst bei der Übertragung seiner drei Jahre alten Basler Inszenierung von Erich Wolfgang Korngolds „Toter Stadt“ an die Bayerische Staatsoper in München Hand angelegt hat, lässt sich nicht so genau ergründen.

Ist im Grunde auch egal. Denn was die mitarbeitende Regisseurin Maria-Magdalena Kwaschik mit dem Ensemble einstudiert hat, funktionierte fabelhaft. Es wirkte sogar konsistenter, als es die Erinnerung an das Opern­debüt des damals schon für seine originellen Schauspielüberschreibungen gehypten Regisseurs vermerkt.

Im Vorfeld der – für München gänzlich ungewöhnlichen – Übernahme hatte Stone nebenan am Residenztheater die eigentlich geplante Eröffnungsinszenierung abgesagt und sogar am Burgtheater in Wien die Planung wegen eines laufenden cineastischen Großprojekts durcheinandergebracht.

Die Filmvorliebe des Regisseurs

Auf die Filmvorliebe des Regisseurs verweisen übrigens einige Plakate, die der Bühnenbildner Ralph Myers an den Wänden der betont „normalen“ Wohnung auf der Bühne platziert hat. Eines für Godards „Pierrot le fou“ (1965) oder das für Antonionis „Blow Up“ (1966) geraten öfter in den Blick.

Den opulent genialen Jugendwurf von Erich Wolfgang Korngold (1897–1957) nach Georges Rodenbachs Roman „Bruges-la-Morte“ gab es jedenfalls wie geplant. Die Premiere löste ungeteilten Jubel aus, und alle fünf Folgevorstellungen in diesem Jahr ziert der Vermerk „ausverkauft“.

Was zuerst an Korngolds Oper liegt, die, 1920 zeitgleich in Hamburg und Köln uraufgeführt, der größte Erfolg seines Lebens war. Mittlerweile ist Korngold dem durch die Nazis erzwungenen Vergessen wieder entrissen. Mindestens ebenso sehr ist die gelungene Inszenierung der Traumbesetzung mit Glamourfaktor zuzuschreiben, wie sie in München unter dem Intendanten Nikolaus Bachler zum Standard gehört.

Jonas Kaufmann singt durchgängig in Hochform

Jonas Kaufmann in der mörderischen Tenorpartie des trauernden Paul ist nahezu durchgängig in Hochform! Marlis Petersen changiert mühelos zwischen der quicklebendigen Marietta und der erinnerungsblassen Marie. Sie spielt exzessiv und imponiert mit ihrer Wandlungsfähigkeit genauso wie mit ihren betörenden Höhen.

Simon Stone entfernt sich mit seiner Inszenierung bewusst von der symbolistischen Düsternis einer Bruges-la-Morte-Atmosphäre und der zur Entstehungszeit allgegenwärtigen Trauer um unzählige Kriegstote. Er fragt nach dem Exemplarischen im individuellen Leid, nach den Gefahren von unbewältigter Trauer heute.

Pauls geliebte Marie ist offensichtlich an Krebs gestorben, Paul durchlebt das immer wieder und kommt damit nicht klar. Das spannende Psychogramm des vereinsamten Mannes in einer Lebenssackgasse entfaltet sich in einer nüchternen Erdgeschosswohnung. Hier hat er seine Kirche der Erinnerung eingerichtet; mit unzähligen Fotos und Maries blonder Perücke als Heiligtum. Die quicklebendig zupackende Tänzerin Marietta gewinnt hier Zugang, weil sie rein äußerlich der Toten gleicht.

Das Traumbild der Toten

Das wird zum Problem, denn Paul versucht, die lebendige Frau seinem Traumbild von der Toten anzupassen, was in einen mörderischen Exzess gipfelt. Der erweist sich jedoch als heilsam schockierender (Alb-)Traum. „Ein Traum hat mir den Traum zerstört. Ein Traum der bittren Wirklichkeit den Traum der Fantasie“, vermag er am Ende immerhin selbst hellsichtig zu resümieren. Im Laufe des jetzt in München mit zwei Pausen auf dreieinviertel Stunden verlängerten Abends löst sich die Wohnung wie ein Labyrinth auf, werden Zimmerboxen zeitweise übereinandergestapelt.

Der selbstbewussten Marietta gehört eh die Sympathie. Aber auch das Mitgefühl für Paul wächst. Wenn er schließlich die Reliquien seiner Erinnerung selbst im Papierkorb verbrennt, fragt er: „Wie weit soll unsere Trauer gehen, wie weit darf sie es, ohn’ uns zu entwurzeln? Schmerzlicher Zwiespalt des Gefühls!“

So weit immerhin löst sich Paul aus seiner Trauer, so weit liefert am Ende der Protagonist die Interpretation seiner Geschichte gleich selbst. Um dann noch einmal sein betörendes „Glück, das mir verblieb“ als Abschiedsgruß den im günstigsten Fall ergriffenen Zuschauern zu überlassen. Man möchte die Flasche Bier, mit der er dann den Raum verlässt, als ein Zeichen für seine Rückkehr in die Normalität nehmen.

Und Kirill Petrenko, der Dirigent? Als detailversessener Perfektionist trägt er die Sänger auf Händen. Er beherrscht aber auch den dosierten Rausch am Pult des Bayerischen Staatsorchesters! All das ist kaum irgendwo besser zu haben.





 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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