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Die Welt, 20.11.2019 |
Von Manuel Brug |
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Korngold: Die tote Stadt, Bayerische Staatsoper, ab 18. November 2019
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Brügge sehen. Und fast am Zuckerschock sterben |
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Kirill Petrenko, Jonas Kaufmann und Marlis Petersen machen sich in
München stark für Erich Wolfgang Korngolds Oper „Die tote Stadt“ |
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Eine „Kathedrale des Gewesenen“. So nennt Paul in Erich Wolfgang Korngolds
einstiger Erfolgsoper „Die tote Stadt“ den Erinnerungsraum mit den
fetischierten Memorabilia seiner verstorbenen Frau Marie. Die Begegnung mit
der Tänzerin Marietta, die Marie sehr ähnlich ist, macht Paul sein morbides
Dasein bewusst. Als eine „Kathedrale des Gewesenen“ wird auch gern die
Gattung Oper bezeichnet. Fast nur noch das Repertoire von gestern werde dort
gepflegt, schimpfen ihre Gegner. Trotzdem erstaunlich, dass in diesem oft
sehr vorbildlich geführten Museum viel Wertvolles immer wieder
abhandenkommt. Bis es wiederentdeckt wird. Weil es stilistisch aus der Zeit
gefallen war. Oder weil es nicht in die herrschende Ideologie passte.
Wer hätte das also für möglich gehalten? Nach einer langsam anlaufenden
Renaissance seit den Siebzigerjahren verzeichnen die internationalen
Opernspielpläne allein für die Zeit zwischen 2016 und 2020 ganze 22 laufende
und neue Produktionen von Erich Wolfgang Korngolds so schillernd
talmihaftem, dabei so suggestivem wie vor Nekrophilie triefendem Erotikon
„Die tote Stadt“. Und auch sein noch schrilleres, herrlich flirrendes
„Wunder der Heliane“ (gerade auch auf DVD erschienen) erfreut sich
steigender Beliebtheit. Selbst völlig vergessene Titel wie „Violanta“, „Der
Ring des Polykrates“ oder „Die stumme Serenade“ tauchen als Raritäten im
Repertoire auf.
Vor 99 Jahren wurde „Die tote Stadt“ des damals
23-Jährigen uraufgeführt. Ein Werk, das Schwulst und Können, Abgründiges und
Hellsichtiges, Avantgarde und feinsten Kitsch so mitreißend amalgamiert,
dass es zur It-Oper der Zwanzigerjahre wurde. Jetzt hat sich die Bayerische
Staatsoper an das Opus 12 des 1897 geborenen Korngold erinnert. 1955 hatten
es die Münchner zum letzten Mal herausgebracht. Erfolglos. Der jüdische
Hollywoodemigrant und zweifache Filmmusik-Oscar-Gewinner galt als passé. Was
er in München trotz des schillernd Extremspätromantisches liebenden
Publikums blieb.
Dafür hat man es jetzt besonders gut gemacht. Wenn
auch „nur“ mit einer Übernahme aus Basel, nämlich der ersten und bis heute
besten Operninszenierung von Simon Stone. Der Australier ist so gefragt,
dass er Inszenierungen am Münchner Residenztheater und am Wiener Burgtheater
verschieben musste, weil er ein lang gehegtes Filmprojekt von Netflix
finanziert bekam. Beim Operntransfer, bei dem einige Schweizer
Partiturkürzungen geöffnet und das Bühnenbild von Ralph Myers vergrößert
wurden, schaute er nur kurz vorbei. Doch dafür lockte man für diese leckere
Klangspezerei mit einem ortsüblich luxuriösen Staraufgebot – den Debüts von
Kirill Petrenko und Jonas Kaufmann sowie Marlis Petersen.
Da perlt
das Klavier und rieselt es von der Celesta, Glocken dröhnen, die Hörner
schwingen sich seidenweich auf und die Streicher flirren und flimmern
schwerelos, glimmern und glitzern verführerisch morbid. Man bekommt gleich
wieder Hörlust auf diese so seltsam zwischen letztem spätromantisch dekadent
sich verströmenden Weltschmerz und harsch psychoanalytischer Sachlichkeit
sich auspendelnde Oper eines Wunderkindes und seines überehrgeizigen Vaters,
der die Texte schrieb. Das ungleichgewichtige Werk von Erich Wolfgang und
Julius Korngold hat Konjunktur als Sehnsuchtsort spätromantischer
Traumklangwelten.
Das ist auch in München gut so. Denn den
Geigenschmelz des bestens präparierten Staatsorchesters hat eben nicht jeder
Opernklangkörper. Er veredelt die komplexen, aber auch verquasten
harmonischen Rückungen und das stellenweise sehr klebrige Schmalz. Die
rhythmussicheren Bläser, das fein ausbalancierte Holz geben der
Kalorienbombe bis in die letzten narkotisierenden Nervenenden Halt.
Zumal dieses süchtig machende Gebräu vom Tonmischmeister Petrenko so fein
wie intelligent dosiert wird. Petrenko versagt dieser gern
sirupsüß-klebrigen „Toten Stadt“ die Himbeersoße. Härtet mit gewohnter
Präzision die überinstrumentierten Klanggewitter, raut auf, gibt sich
ruppig. Das Blech regiert sehr häufig, nicht der Streicherkunsthonig.
Struktur kommt so rein. Die durchaus visionäre Partitur bekommt etwas
Bösartiges, Fieses. Anderseits fehlt es nicht an morbidem Flimmern und
zärtlicher Ekstase. Man merkt in München aber auch neuerlich: Musikalisch
ist dieses sehr zeitverhaftete Wunderwerk trotz immer neuer Anläufe zu lang,
zu verquält. Richard Strauss war der bessere Saccharinschleuderer, Franz
Schreker der größere Erotomane, Alexander Zemlinsky der versiertere
Harmoniker. „Die tote Stadt“ muss, bei allem klanglichen Aufwand, besonders
szenisch bewältigt werden.
Regisseure haben immer wieder ein
atmosphärisches Äquivalent gefunden für die Negierung des sterbenden Brügge,
in dem das Drama von Paul seinen Lauf nimmt. „Die Stadt als eine
Hauptperson, den Seelenzuständen verbunden, die Rat gibt, warnt, zum Handeln
veranlasst“, wie es Georges Rodenbach im Roman „Bruges-la-Morte“
formulierte, der als Librettovorlage diente.
Simon Stone inszeniert
das gewohnt heutig-nüchtern, aber sehr stimmig. Brügge reduziert sich auf
einen weißen Bungalow, innen Sixties-Einrichtung samt Antonioni- und
Godard-Filmplakaten, nur Laptop und Karaokemonitor verweisen auf die
Gegenwart. In einem Zimmerchen voller Polaroids hängt der spießige Paul
seinen Erinnerungen an die offenbar an Krebs gestorbene Maria nach. Marietta
kommt als Hippie-Mädel in Turnschuhen, schwingt sich durchs Fenster. Es
folgt ein dichtes Kammerspiel, Räume und Zeitdimensionen lösen sich auf,
verwirbeln. Paul ist eingesperrt mit Vergangenheit und Zukunft, vor allem
mit immer mehr Maria-Klonen. Am Ende kippt er ein Bier und startet –
vielleicht – neu.
Jonas Kaufmann, der inzwischen seine Opernauftritte
sehr reduziert, singt den für ihn neuen, eigentlich zu hoch liegenden Paul
mit erstaunlicher Kraft. Die Höhe klingt bisweilen verquält, das aber münzt
er in Ausdrucksnuancen um. Marlis Petersen in der weiblichen Doppelrolle
bleibt spielerisch die Somnambule als schöne Teilnahmslose, aber ihr
glissandohaft die Töne anschleifender Sopran mit seiner penetrierenden Höhe
hat eine lohnende Aufgabe. Der weich abgefederte, leider wenig
charismatische Andrzej Filończyk (Frank/Fritz) und Jennifer Johnston als
tiefensatte Haushälterin Brigitta führen das gute Hausrestensemble an.
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