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Online Merker, 3.4.2019 |
Renate Wagner |
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Verdi: La forza del destino, London, ab 21. März 2019 |
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LONDON / WIEN ROH im Kino: LA FORZA DEL DESTINO
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Dieses eine Mal, schrieb eine Londoner Zeitung, waren die Augen der ganzen
Opernwelt auf das Royal Opera House Covent Garden gerichtet. Verdis „La
forza del destino“ in einer Besetzung der drei Hauptrollen, wie sie
heutzutage nicht „höher“ geboten werden könnte. Die Premiere wurde zum
Triumph, die Kritiken überschlugen sich. Und tatsächlich, als die Kinos in
Wien diesmal „RHO im Kino“ anboten, was im allgemeinen nie so überfüllt ist
wie bei den Übertragungen der Metropolitan Opera aus New York, war im UCI
Kinowelt Millennium City nicht nur der große Saal rappelvoll, sondern auch
ein weiterer Saal für die Oper geöffnet. Anna Netrebko und Jonas Kaufmann
taten das Wunder.
Beginnen wir mit ihnen. Es gibt immer wieder
negative Stimmen, die unterstellen, Superstars wie diese seien ein Werk von
Medienarbeit und von verblendeten Fans. Dieser Abend zeigte: Sie sind nicht
nur „Namen“, und sie sind auch keine Mogelpackung, das würde sich auf der
Bühne in Minutenschnelle herausstellen. Sie sind die Größten, weil sie auch
die Besten sind. Was sie hier mit Verdi „zauberten“, war Oper at its best,
der Höhepunkt dessen, was an faktischem Niveau und emotionaler Erschütterung
zu erreichen ist. Und das mit Rollen, die nicht die dankbarsten sind. Keine
mitreißend effektvollen Arien, sondern Seelendramen. Unheimlich schwer zu
singen. Schicksale, die vom Anfang bis zum Ende nur Unglück reflektieren.
Als Geschichte außerdem dramaturgisch hoffnungslos verfahren. Und Netrebko
und Kaufmann machten daraus einen Abend lang gleichsam die Oper aller Opern,
das ultimative Opern-Wunder, man kann es nicht anders sagen.
Sie sind
auch, das ist der Glücksfall, im jetzigen Stadium ihrer stimmlichen
Entwicklung für diese Rollen ideal, Kraft, Reife, Können. Anna Netrebko als
Leonora – ein Wunder an Technik und Stimmbeherrschung, ein fugenloses
Gleiten durch die Register und Tonstärken, Spitzentöne, die schlechtweg
himmlisch sind, eine schwebende Todesszene, die nicht nur Partner Jonas
Kaufmann zu Tränen rührte, sondern sicher auch viele Opern-Kino-Besucher.
Dazu von einer Sängerin, die nicht die geborene Schauspielerin ist, die aber
viel gelernt hat, eine Darstellung von solcher Innigkeit und Intensität,
dass sie einem manchmal den Atem raubt. Ja, Anna Netrebko ist auf dem Mount
Everest ihrer Kunst.
Jonas Kaufmann ist es auch, wobei die größte
Überraschung war, dass er sich das manchmal störend „Gaumige“ seiner
Mittellage weggesungen zu haben scheint (oder mit Gesangslehrern
weggearbeitet oder von der Natur als Teil der natürlichen Stimmentwicklung
geschenkt). So klar klang er selten – und im übrigen hat er, wie die
Netrebko, die Technik, die ihm alles ermöglicht, und die Ausdrucksskala, die
ihn in dieser Inszenierung eine Meisterleistung bieten lässt: vom
stürmischen Liebhaber des Beginns über die Zerbrochenheit und Resignation
nach dem Verlust Leonoras bis zur seelischen Vernichtung am Ende (Tröstungen
der Religion helfen wenig gegen die „Macht“ eines bösen Schicksals).
Und das liefern die beiden in Rollen, die berüchtigt sind. Leonora sowieso –
die verschwindet nach drei Szenen für Stunden, um erst am Ende wieder
aufzutauchen. Alvaro, der auch nach der Anfangsszene eine Auszeit nimmt –
und der keine der üblichen Verdi’schen Effekt- und Prachtarien hat.
Eigentlich wird den beiden nur Ausdruck, Ausdruck, Ausdruck abverlangt, was
die wenigstens Sänger in diesen Partien so stark und kontinuierlich geben
können. Und außerdem, es sei gesagt (es ist ohnedies kein Geheimnis), hat
der Bariton sowieso die effektvollste Rolle des Abends. Und da gab es eine
Überraschung.
Denn man schätzt Ludovic Tézier wirklich sehr. Er ist,
was Franzosen nicht oft gelingt, ein vollgültiger Verdi-Bariton. Im
allgemeinen aber kein mitreißender Darsteller. Diesmal hat ihn der Regisseur
offenbar hergenommen, um diese schrecklich von Haß erfüllte Persönlichkeit
des Don Carlo di Vargas wirklich plastisch und glaubhaft zu machen. Und er
singt diesen Carlo mit schier unendlicher Stimmkraft, Duett um Arie um
Duett. Der vollgültige Dritte zu dem idealen Paar.
Der Rest war
braver Durchschnitt, leider auch unser so geschätzter Ferruccio Furlanetto
als Pater Guardian, weil die Stimme zwar noch da, aber doch spürbar flacher
ist als früher. Seltsam Alessandro Corbelli als Fra Melitone: So durch und
durch negativ konnotiert hat man die Figur noch nie gesehen – der sonst so
komisch herumwieselnde Pater diesmal durch und durch von Gift, Galle und
Bösheit durchdrungen. Veronica Simeoni gibt der Preziosilla gewissermaßen
ein „modernes“ Profil, aber eine nicht sehr ansprechende Sopranstimme für
eine als Mezzo gedachte Rolle. Obwohl die Choreographie von Otto Pichler in
der „Volksszene“ rund um ihren Rataplan-Gesang wirklich außerordentlich war,
hatte man das Gefühl, auf diese halbe Stunde gut und gern verzichten zu
können – denn neben anderen Schwächen ist die „Forza“ auch noch zu lang…
Glücklicherweise verfiel man in Covent Garden nicht auf die (auch in Wien
gepflegte und dumme) Idee, den Pater Guardian und den Marchese di Calatrava
von ein- und demselben Sänger verkörpern zu lassen: Robert Lloyd klang
allerdings schon vor seinem frühen Tod stimmlich mehr als moribund.
Antonio Pappano, der Brite mit italienischen Eltern, steht dem Royal Opera
House seit nun auch schon zwei Jahrzehnten vor und ist für London das, was
James Levine (als man seinen Namen noch nennen durfte) für die Met war – der
Mann, der wirklich alles kann, der unermüdlich am Pult steht und
unerschütterlich auf höchstem Niveau arbeitet. Mit einer Anteilnahme an der
Sache, mit einer Sorglichkeit für jedes Detail, die nicht nur hörbar,
sondern in den Pausen auch sichtbar wurden: Pappano am Klavier, die Tasten
so virtuos drückend wie einst Prawy, als Erzähler eine Art Bernstein, führt
bewundernswert durch Motive und in kleine Geheimnisse der Musik. Ein
Leidenschaftlicher. Man hört es.
London hat eine Christof
Loy-Inszenierung aus Amsterdam eingekauft, die zwar einige seiner typischen
„Spezialitäten“ bringt (die Familienaufstellung schon zur Ouvertüre, Leonora
und Carlo als Kinder, dazu ein variiertes Zimmer-Bühnenbild von Christian
Schmidt), sich aber diesmal offenbar darauf beschränkte, den
Sänger-Darstellern zu bis ins Detail ausgefeilten Porträts ihrer Figuren zu
verhelfen und im übrigen die erkennbare Handlung durch keinerlei
Willkürlichkeiten zu stören. Als „halb-moderner“ Rahmen, der letztlich dem
Werk dient, war diese Inszenierung der ideale Schauplatz für das, was die
Oper groß macht: für den Auftritt der ganz großen Sänger.
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