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Klassik begeistert, 17. April 2019 |
von Guido Marquardt |
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Bizet: Carmen, Hamburger Staatsoper, 16. April 2019 |
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„Carmen“ in Hamburg mit Jonas Kaufmann: ein Triumph des Ensembles
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Kaufmann souverän, Margaine wuchtig, Mantashyan strahlend,
Vinogradov volltönend: Das Ensemble dieser „Carmen“ sorgt für eine
sängerische Sternstunde in Hamburg, die das Publikum zu Jubelstürmen
mitreißt. Die biedere Inszenierung fällt da kaum ins Gewicht.
Hand aufs Herz: Sie sind doch nicht hier, um etwas über die Inszenierung
zu lesen, oder? Diese ist fünf Jahre alt – es könnten aber auch fünfzig sein
oder fünf Wochen, ganz egal. Sie ist einfach nicht der Rede wert, zeigt in
weiten Teilen das, was durchschnittlich opernaffine Menschen sich so grob
unter der Geschichte vorstellen würden und bietet ein Bühnenbild irgendwo
zwischen Brutalismus und Freizeitpark. Geschenkt. Immerhin werden die
Darsteller nicht in groteske Kostüme gezwungen, wenn man mal von Escamillo
absieht, der die Mehrzahl seiner Auftritte in einem goldfarbenen
Trainingsanzug und mit grell überzeichneter Maske absolvieren muss, als sei
David Lynch eine bizarre Kooperation mit Harald Glööckler eingegangen.
Auch darstellerisch passiert nicht allzu viel, zumindest die Chöre
(insbesondere der Alsterspatzen-Kinderchor) dürfen sich allerdings austoben.
Positiv formuliert, stört die Inszenierung nicht die Konzentration auf
die Sängerinnen und Sänger. Dass man Ähnliches auch fast über die
Orchestermusik sagen kann, ist dann schon ein wenig betrüblicher. Pier
Giorgio Morandi ordnet jedenfalls an diesem Abend alles der Absicht unter,
den Solisten einen roten Teppich auszurollen. Das allerdings macht er gut,
und der eine oder andere gelungene Akzent wird insbesondere von den
Perkussionsinstrumenten und den Bläsern dann doch gesetzt. Ansonsten gibt es
manch verschleppte Passage und darüber hinaus wenig Auffälliges. Nennen wir
das ganze einfach mal „zweckdienlich“.
Nun gut, manchmal ist anderes
einfach wichtiger oder zumindest deutlich interessanter. An diesem Abend ist
es die Besetzung. Dass sie nicht nur auf dem Papier hochkarätig ausfällt,
sondern auch die Performance eine absolute Wucht ist, gehört zu den
Glücksmomenten, auf die man als Rezensent hinfiebert – einfach auch schon
deshalb, weil sie sich nie mit letzter Sicherheit planen lassen.
Also, zu den Stimmen: Ironiker könnten ja die Frage stellen, welche Rollen
Jonas Kaufmann denn an diesem Abend alle übernommen habe. Doch Mahler ist
nicht Bizet, ein Liederabend keine Opernaufführung und die Elbphilharmonie
ist nicht die Staatsoper. Keine bahnbrechenden Erkenntnisse, wohl aber die
Basis für einen Genuss ersten Ranges: Kaufmann ist in Hochform und gibt den
Don José in all seiner Zerrissenheit glaubwürdig und stimmlich absolut
souverän. Die leicht baritonale Cremigkeit seiner Stimme steht dem Meistern
von brillanten Höhen nicht im Wege, gibt im tieferen Register seinem Timbre
ein schönes Volumen und viel Wärme. Auch die zarteren Passagen gelingen
vortrefflich. Für Gänsehautmomente sorgt die „Blumenarie“ „La fleur que tu
m’avais jetée“. Zum Ausleben seiner sichtbaren Spielfreude bietet die
Inszenierung leider wenig Möglichkeiten, aber in Mimik und Gestik agiert
Kaufmann jederzeit überzeugend.
Clementine Margaines Carmen ist
erfreulich rustikal angelegt – Carmen ist nun mal kein Feingeist, und ihre
Erotik keine der subtilen Art. Entsprechend gibt Margaine richtig Gas, singt
kraftvoll und wuchtig und mit einem angenehm herben Touch. Dennoch gelingt
es Margaine zugleich, die Verlorenheit der Figur in ihrer ganzen Stärke
herauszuarbeiten. Ja, hier hat auch die Inszenierung ihre guten Momente,
wenn sie Carmen bereits in der Habanera durch Lichtregie und Raumgestaltung
als Außenseiterin zeigt, als eine, die zwar Wortführerin ist, aber dennoch
am Ende allein steht.
Da ist Micaëla natürlich von ganz anderer Art.
Ruzan Mantashyan begeistert an diesem Abend mit ihrem feinen, lyrischen
Ansatz und ihrer zarten Ausstrahlung, die perfekt zu dieser Rolle passt.
Ihre Höhen sind perfekt ausgesungen, ohne je ins Schneidende zu kippen. Ein
weiterer Nebeneffekt ihrer überaus aparten Erscheinung ist, dass uns Don
Josés Verhalten um so unverständlicher erscheint, hätte er hier doch eine
Brautwahl treffen können, die vermutlich 95 Prozent des männlichen Publikums
unmittelbar nachvollzogen hätten. Und spätestens mit ihrer Arie „Je dis que
rien ne m’épouvante“ hat sie ohnehin die Herzen aller Anwesenden gewonnen.
Wundervoll!
Den Torero Escamillo gibt Alexander Vinogradov ganz
ähnlich wie kürzlich den Zaccaria in „Nabucco“: volltönend und mächtig. Das
sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Rolle für einen Bass
doch in beträchtliche Höhen führt. Vinogradov bereitet das keine erkennbare
Mühe. Seine Auftritte tun an diesem Abend jedenfalls genau das, was auch ein
Torero erreichen möchte: Sie machen mächtig Eindruck.
Auch die
weiteren Rollen sind hervorragend besetzt. Da wären Zak Kariithis
pointierter Moralès, Florian Spiess‘ wunderbar arroganter Zuniga und die
schön komödiantisch angelegten Schmuggler, dargestellt von Ziad Nehme und
Viktor Rud. Zu guter Letzt dürfen auch Katharina Konradi und Marta Swiderska
nicht unerwähnt bleiben, die in ihre Frasquita und Mercédès eine gut
dosierte Verruchtheit legen, ohne dabei zu überzeichnen.
Schließlich
die Chöre. Der Staatsopernchor ist gewohnt solide. Auch bei ihm konnte man
aber den Eindruck gewinnen, er singe zwischenzeitlich mit etwas gebremstem
Schaum, um keinesfalls den Solistinnen und Solisten die Schau zu stehlen.
Die Alsterspatzen sind da etwas unbefangener – wunderbar, wie sie sich
austoben, insbesondere gleich zu Beginn, wo sie das „Taratata“ mit der
nötigen schmutzigen Frechheit herausrufen.
Die Chemie stimmte einfach
an diesem Abend. Sowohl solo als auch im Zusammenspiel überzeugten alle
Stars und sorgten für ein absolutes Highlight der Saison. Eine gewisse
Spannungsaufladung war durchaus schon im Publikum spürbar, das auch mit
Zwischenapplaus nicht geizte und den äußerst ungewöhnlichen Vorhang zur
Pause begeistert aufnahm. Am Ende gab es euphorischen Jubel mit einer
kleinen Extra-Dosis für Jonas Kaufmann. Sofern es der Versöhnung zwischen
Kaufmann und Hamburg bedurft hatte: Mission erfüllt.
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