Merkur, 29.06.18
von Markus Thiel
 
Wagner: Parsifal, Bayerische Staatsoper, 28. Juni 2018
„Parsifal“ an der Bayerischen Staatsoper: Waldesfrust
Stars treffen auf szenische Lethargie: Der teuer zusammengekaufte Münchner „Parsifal“ funktioniert nur musikalisch. Eine Premierenkritik.

Böser, nihilistischer, auswegloser geht es nicht. Es sind die dunkelsten Minuten, die Richard Wagner je komponiert hat, eine Steigerung von Schwarz, in der sich das Orchester aufbäumt, ein letztes Mal, wie ein todwunder Koloss. Oft sieht man dabei, wie sich der Karfreitagsauenwald verwandelt zur Gralsburg, manche machen den Vorhang lieber kurz zu. In München kommt ein einsames, verknöchertes, verbissenes Wesen nach vorn. Mühevoll auf eine Krücke gestützt, orientierungslos und doch wuterfüllt. Man saugt sich fest an diesem überwältigenden Bild und auch am Gesang von Christian Gerhaher, der Amfortas zum Wiedergänger König Lears auf der Sturmheide macht und wild entschlossen ist, jeder Gesangssilbe, ja jedem Ton eine eigene Nuance zu geben.

Dankbar und zugleich ausgehungert genießt man diesen Moment. Der ist in Gerhahers Neigung zur Überpointierung auch sehr anfechtbar, und trotzdem: Jetzt, nach fünf Stunden und kurz vor Toresschluss, endlich Gestaltung, endlich Haltung? Dabei ist es doch eine Binse. Das Teuerste, Beste aus dem Delikatessenladen zusammenkaufen, verrühren und servieren, das funktioniert nur bedingt. Hier ist es der Bayerischen Staatsoper passiert mit Richard Wagners „Parsifal“, mit einer Festspiel-Premiere, deren All-Star-Team die Kartenserver schier überforderte. Das Bühnenbild von Maler-Promi Georg Baselitz sollte das Sahnehäubchen sein, es blieb Hohlgefäß für eine Regie-Nichtigkeit.

Frappierendes Dirigat von Kirill Petrenko
Wobei: Man denke sich den Abend in B-Besetzung, mit einer musikalischen So-lala-Fraktion – eine Horrorvision. Umso mehr werden die Sinne dafür geschärft, was Kirill Petrenko mit dem Bayerischen Staatsorchester zaubert. Der erste Akt ist flott, aber so gehaltreich, dass man es nicht spürt. Überhaupt ist bestechend, welche logische Tempo-Architektur zu verfolgen ist und wie flexibel sie von den Musikern umgesetzt wird. Tempo wird immer, das ist frappierend und immens klug, angepasst an die klangliche Entwicklung und gleichzeitig an den Textverlauf. Petrenko gönnt sich auch Momente der zeitlichen Entgrenzung, in der Puls und Rhythmus auszusetzen scheinen, um vom Spiel mit Farben, Details und Schichten überlagert zu werden. Extrem zu Beginn des dritten Aufzugs, in dem sich die Musik mühevoll wieder aufrichtet. „Zum Raum wird hier die Zeit“: Der berühmte Gurnemanz-Satz kann also tatsächlich eine Hör-Erfahrung sein. Es ist, obwohl massive Ballungen ausgekostet werden, ein „Parsifal“ des Leisen, des Sottovoce, auch des Lyrisch-Pastoralen, den Petrenko dirigiert. Wo andere Martialisches produzieren, wölben sich weich gefasste, intensive Bögen. Leerstellen, Fragezeichen, Introspektive, Suchen, unerfüllte Sehnsucht, all das wird Klang. Zugleich eröffnen sich Querbezüge. Einmal darf im ersten Aufzug die Klingsor-Welt überdeutlich wetterleuchten, ein anderes Mal ist es nur eine grell ausgestellte Klarinette, die das Hohngelächter Kundrys an „unpassender“ Stelle aufflackern lässt.

Ganz im Sinne des Stücks nähert sich Petrenko stark dem Wagner-Impressionismus, wie ihn etwa Claudio Abbado pflegte – was zugleich den Sängern zugutekommt. Es gibt keinen Moment, in dem einer dieser Stars überfahren wird. Auch nicht in heiklen Passagen wie der Parsifal-Taufe durch Gurnemanz. René Pape darf da in seinem Lied-Modus bleiben, ohne zu forcieren. Und gerade an Pape lässt sich ablesen, warum der Abend so problematisch ist. Mangels Inhaltsfutter verlässt er sich auf oft Erprobtes. Das ist viel bei diesem stimmschönen Ausnahme-Bassisten und Textarbeiter, aber noch kein schlüssiger Figurenentwurf.

Unterforderte Sänger und ein unschlüssiger Maler-Fürst
Auch Nina Stemme als Kundry wirkt unterfordert. Es gibt derzeit keine andere Sopranistin, die in den gefährlichen Kundry-Tiefen des zweiten Akts so viel Wärme, so viel unverspanntes Phrasieren einbringen kann. Ihre Ausbrüche sind dann nie erkauft, sondern Triumph. Und doch bleibt fast alles – ausgerechnet bei der vielschichtigsten Rolle Wagners – nur musikalisches Ereignis. Auch bei Jonas Kaufmann. Der reine, unschlüssige Tor steht ihm gut. Tenorale Fitnessmomente, die holzige, dunkle Dramatik, all das hört man gern. Doch auch er, man merkt es ihm an, hätte mehr Input gebraucht.

Wolfgang Koch muss den Klingsor als aus dem Leim gegangenes Kalle-Wirsch-Wrack stehsingen, Christian Gerhaher tritt als Amfortas die Gestaltungsflucht nach vorn an. Das mag manchen befremden, liefert aber die einzigen diskussionswürdigen Szenen des Abends. Regisseur Pierre Audi, eigentlich ein versierter Bediener, agiert wie weggeblendet. Es gibt zwei, drei schöne Kleinstmomente, ansonsten kaum Haltung zu Figuren und Stück. Kein Gral wird enthüllt, dafür entblößt sich der (wunderfein singende) Männerchor und zeigt faltig-blutiges Nacktdress. Audi denkt sich offenbar eine Art szenische Befreiung des Weihespiels. Sein schmuckloses Ritual soll Assoziationen wecken – und produziert doch nur Lethargie.

Ob alles Respekt war vor dem Maler-Star? Baselitz lässt es dräuen und raunen. Ein Wald-Gerippe im Zwielicht, das im Final-Akt (man muss seinem Stil ja treu bleiben) auf dem Kopf steht. Im zweiten Aufzug, eigentlich ein Regie-Selbstläufer, gibt es nur Mauer-Prospekt mit Konzertantem und einer verheerenden Cellulite-Epidemie bei den Blumenmädchen. Was Baselitz über das Dekor hinaus mit dem „Parsifal“ verbindet, man erfährt es nicht. „Lass die Leute schlafen“, das sei im Vorfeld seine Idee gewesen. Auftrag ausgeführt.

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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