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Kultur in München, 11. Dezember 2018 |
Ludwig Stadler |
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Verdi: Otello, Bayerische Staatsoper, ab 23. November 2018
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Der gebrochene (Anti-)Held – „Otello“ in der Staatsoper |
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Seitdem Giuseppe Verdi seine Oper „Aida“ im Jahr 1871 abgeschlossen hatte,
war er auch mit dem Schaffen neuer Opern vorerst am Ende. Sein Verleger
Giulio Ricordi wollte das aber noch nicht so leicht hinnehmen, zu jung war
Verdi, um schon endgültig das Handtuch des Komponierens zu werfen. So gelang
es, dass der Komponist mit Librettist Arrigo Boito zusammenfand und im hohen
Alter seine wahrscheinlich beeindruckendsten Musikwerke komponierte – unter
anderem auch den „Otello“, der seither als einer bedeutendsten (und zugleich
schwersten) zu erklimmenden Gipfel jedes Spielplans gilt, sollte man sich
für die Aufnahme des Opus entschieden haben. So hat sich nun auch die
Bayerische Staatsoper an eine Neuinszenierung gewagt – 130 Jahre nach der
deutschen Erstaufführung in eben diesem Theater.
Als die Ankündigung
des „Otello“ als erste Neuproduktion der Spielzeit erfolgte, war das Staunen
groß, bedenkt man das irrsinnig hochwertige Kreativ-Team, das sich um die
Umsetzung kümmerte: Kirill Petrenko als Musikalischer Leiter des
Staatsorchester, Amélie Niermeyer als Regisseurin. Letztere hat nun vor
allem in Bezug auf die Besetzung eine weitere Herausforderung, denn Jonas
Kaufmann spielt die Titelfigur, erst zum zweiten Mal in seiner Laufbahn und
ein Jahr nach seinem Debüt am ROH in London. Dort trat er als überzeugter
Feldherr in Erscheinung – sollte man exakt das also nun in München
wiederholen? Nein, dachten sich wohl Niermeyer und ihr Team, und entschieden
sich, den Fokus auf libretto– und handlungsabhängigen Ansätzen zu legen,
weniger auf das exakte, textbezogene Setting. Ein gewagter und bereits
vielfach kritisierter Schritt – aber ein äußerst gelungener, wie sich
herausstellen sollte.
Bereits die Anfangsszene eröffnet den Ansatz:
ein Schlafzimmer schwebt innerhalb eines noch größeren, ähnlich aussehenden
Raumes, der ab der Ankunft Otellos als Handlungsplatz gelten wird – bis zur
absoluten Eskalation. Immer dann, wenn Desdemonda, ihres Zeichens Otellos
liebende Frau, sich isoliert und einsam fühlt, verkleinert sich die
Räumlichkeit, auch geht sie in den verschiedenen Akten immer dann in den
hinteren, externen Abteil des Bühnenbilds, nicht aber in den konstanten, den
der wildgewordene Feldherr belagert. Nur zweimal bricht Otello in diese
verletzliche Intimität Desdemondas ein: bei seiner Rückkehr, welche den Raum
öffnen lässt – und seinem aus Eifersucht und Aggressivität ausgeführten
Mord, der den Raum für immer schließt. Die nur liebende Desdemonda hat keine
Chance, sich ihrem wutentbrannten Ehemann zu erklären – und wenn doch, hört
er nur auf das Gerücht, nicht auf ihre Ehrlichkeit. Das Pendant des
Wutbürgers? Es passt zur Inszenierung.
Denn Kaufmann als Otello sieht
nun wahrlich nicht aus wie ein heroischer und siegreicher Feldherr – eher
wie ein müder, erschlaffter Beamter, der im monoton den ganzen Tag
Bürgerbegehren beantworten muss, bevor er nach Hause darf, und sich von
wirklich jeder Aussage erzürnen lässt. Im direkten Gegensatz steht Jago, der
Fähnrich des Feldherrn, wunderbar diabolisch gespielt von Gerald Finley, der
seine Intrigen spinnt, die tödlichen Ausgang beinhalten. Der Grund: eine
fehlende Beförderung. Recht trivial – allein das macht ihn vielleicht zur
bösartigsten Figur in der Operngeschichte. Desdemonda, verkörpert von Anja
Harteros, muss darunter leider und fällt dem blind gewordenen Otello zum
Opfer – ein tragischer Ausgang für das Opern-Traumpaar Harteros und
Kaufmann. Am Ende liegt Otello sterbend und blutverschmiert am Bett, seiner
schrecklichen Tat nachtrauernd – irgendwie doch ein wenig klischeehaft.
Hat man jedenfalls die Tatsache verinnerlicht, dass wir es hier mit
feinfühligem Regietheater zu tun haben, und natürlich den Schock über die
fehlende Lockenpracht Kaufmanns (keine Angst, nur eine Perücke), die
amüsanterweise für mehr Diskussionsbedarf als die Inszenierung selbst führte
– man ist absolut gebannt. Petrenko und das Staatsorchester spielen passend
impulsiv, aber in den richtigen Momenten erschreckend verletzlich, das
Protagonisten-Trio überzeugt gesanglich nicht nur, sondern ringt mit ihrer
Leistung um Bezeichnungen, denen vielleicht nicht einmal Superlative gerecht
werden. Musikalisch erleben wir also einen „Otello“ allererster Klasse –
aber auch schauspielerisch. Selten können Kaufmann und Harteros spielerisch
so viel miteinander agieren. Am Ende des ersten Aktes, wenn Otello sich
Desdemonda öffnen möchte, aber es nicht kann – er wirkt wie ein
schüchterner, pubertierender Teenager, dessen Zurückhaltung aber nicht die
Scham, sondern die Verletzung des Krieges begründet. Das Kostüm Kaufmanns
tut sein Übriges: Anzug mit Hemd und Krawatte, wie der Großteil des
Publikums. Otello – das könnte ein jeder von uns sein.
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