HNA, 27.11.2018
Von Andreas Günther
 
Verdi: Otello, Bayerische Staatsoper, ab 23. November 2018
Wie ein Steak auf Knäckebrot
 
München. Keine Oper beginnt furioser als Verdis „Otello“: Das Meer tobt, ein Schiff droht zu stranden, Kanonendonner, das Volk schreit auf – mit großem Pomp erscheint schließlich der Feldherr und verkündet die glückliche Rettung. Man würde vermuten, diese Oper hätte ein junger Heißsporn geschrieben. Stimmt aber nicht. Es ist das Alterswerk eines reifen, um sein Handwerk wissender Meister.

Eine Oper, die höchste Anforderungen stellt. Als Regisseur muss man sich fragen, wie die Massen bewegt werden, wie sich der Sturm der Musik in Bilder fügt. Doch in München entsagt die Regisseurin Amélie Niermeyer dieser Chance. Sie eröffnet ihren Otello als streng reduziertes Kammerspiel: Desdemona bangt in ihrem Zimmer, der Chor singt statisch an der Rampe und wird weggeleuchtet.

Nicht die großen Bilder sind gefragt, sondern die feine Ehepaar-Beziehung. Strindberg statt Verdi. Was nur knirschend gelingt. Zu häufig widerspricht das Konzept der Musik. Die Personenregie ist fein und reich, handwerklich anspruchsvoll – aber zu oft schreit Verdi nach szenischer Opulenz. Vergeblich. Amélie Niermeyer bleibt strikt in kargen Räumen, die Helden der Handlung sind grau gekleidet, nirgends venezianischer Prunk.

Ein Steak (die Partitur) auf Knäckebrot (die Szene) – zugleich ist es ein Fest für Paartherapeuten. Die Regisseurin kümmert sich vornehmlich um die Komplexität der Desdemona-Figur. Die Heldin erscheint mal als engelsgleiches Püppchen, mal als Femme fatale – im dritten Akt blitzt ein roter Spitzen-BH durch den Hosenanzug, tatsächlich der einzige echte Farbtupfer in der Inszenierung. Trotzdem gibt es am Ende tosenden Applaus – hauptsächlich für die musikalische Seite. Die Bayerische Staatsoper hat ein Traumensemble engagiert. Allen voran natürlich Jonas Kaufmann in der Titelrolle. Die Partie hat er im vergangenen Jahr bereits in Covent Garden gesungen, in München scheint er noch stabiler, noch gestaltender. Nicht alles wurde ihm in die baritonale Stimmbarbe geschrieben. Er muss kämpfen. Doch sein dynamisches Spektrum reicht von durchdringenden Spitzentönen bis zum leisten Flüstern.

Weltweit steht er in dieser Rolle ohne Konkurrenz da, es selbst hat die Arbeit am Otello mit einer Everest-Besteigung ohne Atemgerät beschrieben. An seiner Seite steht wieder Anja Harteros – die beiden bilden derzeit das Tenor/Sopran-Dreamteam. Auch Harteros verfügt über eine breite Palette der Gestaltung. Ihre Desdemona strotzt mal von Strahlkraft, mal geht es in die innere Versenkung im feinsten Piano.

Doch Otello ist im Kern die Geschichte einer Dreierbeziehung. Es braucht noch den bösen Intriganten: Der kanadische Bariton Gerald Finley singt seinen Jago erstaunlich schön – das ist kein knurrender, beißender Brüllathlet, sondern ein Schmeichler, ein humorbegabter Charismatiker.

Den größten Applaus heimsen Kirill Petrenko und sein Staatsorchester ein, jeder Einsatz hat Präzision, jede Klangnuance ist ausgearbeitet – das bester Verdi-Dirigat seit Langem. Perfekt bedient Petrenko den Sturm, die Liebe, die Eifersucht – alles, was die Bühne nicht zeigt, spielt sich in der Musik ab. In genau einem Jahr tritt Petrenko sein Amt als Chef der Berliner Philharmoniker an. München wird über seinen Abschied weinen.

Leider gibt es auf weite Sicht keine Karten für diesen großartigen „Otello“ - aber die Bayerische Staatsoper hat einen Video-Stream angesetzt. Jeder kann am 2. Dezember, 19 Uhr, kostenlos am Bildschirm dabei sein.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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