Die Presse, 24.11.2018
von Josef Schmitt
 
Verdi: Otello, Bayerische Staatsoper, ab 23. November 2018
Otello als „Nerd“: So richtig nett ist's nur im Bett
In der Bayerischen Staatsoper gibt Jonas Kaufmann unter Kirill Petrenkos Leitung den Otello in einer Regie, die es erst im zweiten Teil mit Shakespeare und Verdi aufzunehmen versucht.

Opernhäuser dürfen keine Museen sein, so lautet der Slogan, den Lobbyisten des „Regisseurstheaters“ immer wieder predigen. Damit könnte es in unbeabsichtigter Weise seine Richtigkeit haben. Denn, Hand aufs Herz, welches Museum würde seine Meisterwerke in lieblos gestalteter oder gar hässlicher Umgebung präsentieren?

So betrachtet läuft die Bayerische Staatsoper mit ihrer Neuproduktion von Verdis „Otello“ bestimmt nicht Gefahr, als Museum bezeichnet zu werden. Sie präsentiert das Meisterwerk zwar in optimaler musikalischer Realisierung, aber in einer eindimensionalen Inszenierung von Amélie Niermeyer, im grauen Einheitsbühnenbild von Christian Schmidt und dazu passenden Kostümen von Annelies Vanlaere.

Niermeyer reduziert, so ihre Eigendefinition, Otello zu einem intelligenten, wahnsinnigen „Nerd“. Wozu uns der Duden erklärt, das sei ein sehr intelligenter, aber sozial isolierter Sonderling. Otello habe als Kriegsheimkehrer Schwierigkeiten mit seinem Umfeld. Das Stück zeige uns, wie er daran schrittweise zerbreche.

Das mag einen wahren Kern haben, doch missachtet die Regie, indem sie den Titelhelden antipathisch zeichnet, die Musik, in der Verdi seine Sympathie für Otello nuanciert zu modellieren versteht: Er erscheint als strahlender Held, als bedingungslos Liebender, dann als bis zur Selbstzerfleischung Hassender und schließlich als völlig gebrochene Existenz.

Bewusst an Verdi vorbei. Shakespeares Spannungsbogen macht die unmenschlichen Reaktionen, die Erniedrigung Desdemonas im dritten Akt, das mörderische Finale begreiflich. Doch die jähen Kontraste von Verdis emotionell extrem aufgeladener Klangsprache, die das Publikum seit der Uraufführung schockieren und berühren, sind in Niermeyers Regie kaum aufzuspüren.

Schon Otellos erster Auftritt, vom Orchester und dem beeindruckend sicheren Chor spektakulär aufbereitet, verpufft in der Neuinszenierung. Jonas Kaufmann kommt durch die Tür in Desdemonas Schlafzimmer, stimmt fulminant sein „Esultate“ an, um sich sogleich ins Bett zu begeben und friedlich zu entschlummern.

Eine größere Diskrepanz zur Geschichte, die uns die Musik erzählt, dürfte sich szenisch schwerlich erreichen lassen. Zumal auch die Chorführung nicht im Fokus von Niermeyers Arbeit gestanden sein dürfte. Wann immer das Volk erscheint, herrscht Statik. Nur im Freudenchor „Fuoco di gioia“ beginnen die Hände einer der Darstellerinnen zu brennen.

Schlaf gut, Rache! Musikalische Flammen lodern dann freilich im Liebesduett, das dank Münchens Operntraumpaar zum ersten Höhepunkt des Abends wird: Anja Harteros und Jonas Kaufmann bleiben dafür erstaunlicherweise unbedankt, kein Applaus zum Aktschluss.

Nur lau auch die Reaktion auf das Finale des zweiten Aufzugs, einem der mitreißendsten Momente der Operngeschichte, in dem die emotionale Reduktion der Figur des Otello jedoch diesmal ihren Tiefpunkt erreicht. Zum „Ora e per sempre addio“ zieht Jonas Kaufmann seine Jacke aus und legt sie feinsäuberlich zusammen, um das Racheduett mit Jago (Gerald Finley) im Bett zu singen.

Nach der Pause darf dann aber die Harteros aggressiv aufbegehren, ihre Desdemona wird zur kämpferischen Frau. Otello steht ihrer Kraft hilflos gegenüber und reagiert panisch – endlich scheinen die brutalen Wutausbrüche, die Verdis Musik hören lässt, auch in der szenischen Realität angekommen.

Kaufmann singt daraufhin den Monolog im Mezzavoce, vermittelt damit nicht unbedingt die pure Verzweiflung, die den Titelhelden in dieser Situation befällt. Dass Otello eine Grenzpartie ist, weiß niemand besser als dieser Sänger, der seine Kräfte klug wie kein anderer zu disponieren versteht. Er bleibt an diesem Abend stets auf der sicheren Seite, technisch perfekt im Tonansatz und Registerwechsel, setzt er seine Stimme in keinem Moment einer Extremsituation aus. Die Regie tut zuletzt das Ihrige: Die ermordete Desdemona ist im Bühnenhintergrund verschwunden, der „letzte Kuss“ Otellos gilt nur noch ihrer Bettdecke.

Die Überraschung des Premierenabends war Gerald Finleys Rollendebüt als Jago: Von der Regie eher als Nachwuchsintrigant gezeichnet, wird er vokal den Anforderungen der vielschichtigen Partie voll und ganz gerecht. Dass der mittlerweile an Wagner und Puccini gestählte Bariton durch die Mozart-Schule gegangen ist, sichert ihm die nötige Eloquenz.

Regungslos lauschte das Publikum Desdemonas „Lied von der Weide“ und dem „Ave Maria“: Anja Harteros vereinigte hier stille Resignation mit höchster Emotion, die sich im Abschied von Emilia (von der Regie zur selbstbewussten Frau aufgewertet: Rachel Wilsons) eindrucksvoll entlud.

Kirill Petrenko am Pult des bestens disponierten Bayerischen Staatsorchesters erwies sich als behutsamer Begleiter der Sänger, reduzierte zu diesem Zweck, wo es nötig war, die Dynamik, riskierte sogar bei den Tempi hie und da Spannungsverluste. Doch ließ er sich von der emotionalen Reduktion auf der Bühne nicht im Geringsten beeindrucken. An den Höhepunkten folgten ihm die Musiker, nicht zuletzt die beeindruckend sichere Blechbläser-Gruppe, so begeistert, wie das Publikum zuletzt applaudierte.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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