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Morgenpost, 14.07.2018 |
Alexander Gumz |
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13. Juli 2018, Konzert "Dolce Vita", Berlin, Waldbühne
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Jonas Kaufmann überzeugt mit schamlosem Wohlklang |
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Star-Tenor Jonas Kaufmann gibt bei seinem Konzert in der Waldbühne den eleganten Unterhalter. |
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Eine der letzten Zugaben singt Jonas Kaufmann mit den Händen in den
Hosentaschen seines schwarzen Anzugs. Er singt sie mit Kraft und Präzision,
mit Eleganz und Lässigkeit. Genau das ist die Mischung, die Kaufmann – man
merkt es – für sein erstes großes Solokonzert in der Berliner Waldbühne
vorschwebt. Das Programm versucht „einen Spagat zwischen dem neunzehnten und
zwanzigsten Jahrhundert“, sagte Kaufmann vorab in einem Interview. „Das
heißt zwischen dem, was bis vor gut hundert Jahren so genannte Popmusik war,
die populären Gassenhauer – und dem, was dann damit im 20. Jahrhundert
passiert ist.“
Einen doppelten Traum von Italien will Kaufmann den
Berlinern und Angereisten präsentieren: vom hochkulturellen und vom
populären Italien, und wie beide musikalisch fast nahtlos ineinandergreifen.
Trotz Regens vorab und durchweichter Wege zur Waldbühne sollte Kaufmann das
nicht schwerfallen, ist Italien doch spätestens seit Goethe das
Lieblingssehnsuchtsland der Deutschen. Durch die Jahrhunderte suchen sie
dort, im metaphysischen „Süden“, wahlweise religiöse, kunstgeschichtliche
oder kulinarische Erlösung. Oder – das macht noch heute für den Bürger aus
dem rauen Norden den Zauber dieses Landes aus – all das zusammen.
Und
dann ist da noch die Oper, diese letzte Bastion des ernstnehmbaren
Melodrams. Sie wird wie sonst nur Pizza, Espresso und Stracciatella-Eis in
der allgemeinen Vorstellung mit Italien verknüpft: Rossini, Verdi, Puccini –
Tebaldi, Bartoli – Caruso, Pavarotti. Jonas Kaufmann ist der vielleicht
wichtigste deutsche Erbe dieser Tradition. Seit seinem Debüt an der
Metropolitan Opera in New York 2006 singt er an allen großen Häusern der
Welt, gerne Verdi und Puccini, sehr gern aber auch Wagner.
So kommt
der erste, ernstere Teil des Abends auch manchmal etwas teutonisch-schwer
daher, vor allem die Auszüge aus Pietro Mascagni „Cavalleria Rusticana“,
dieser hoch dramatischen Eifersuchtsgeschichte des Verismo. Bei aller
Stimmgewalt, allem Facettenreichtum und Können des Ausnahmetenors klingt der
mediterrane Schmelz da ein wenig eingeübt. Auch das
Rundfunk-Sinfonieorchester unter Jochen Rieder fiedelt die eine oder andere
Interlude etwas kratzig herunter – oder liegt's an der Akustik, der
schwierigen Aufgabe, ein ganzes Orchester klangtechnisch zu verstärken –
noch dazu mitten im Wald, wo es für Geigen und Celli eigentlich viel zu
feucht ist?
Als Jonas Kaufmann ins T-Shirt schlüpft, kommt das
Konzert an, wo es hin will Erst als sich die Dämmerung gnädig über die
Waldbühne senkt, Jonas Kaufmann kurzerhand die Pause streicht, weil mehr
Regen angekündigt ist – erst als dieser Regen doch ausbleibt und Kaufmann
das weiße Hemd gegen ein weißes T-Shirt tauscht, kommt das Konzert dort an,
wo es hin will: beim einfachen, klaren Lied, bei romantischen Serenaden und
Canzoni. Von Leoncavallo über Ernesto de Curtis ins 20. Jahrhundert, zu
Fellinis Leib- und Magenkomponist Nino Rota oder den etwas arg schlichten
Schlagern von Lucio Dalla.
Und obwohl Jonas Kauffmann und sein Gast,
die junge georgische Mezzo-Sopranistin Anita Rachvelishvili, gefeierte
Opern-Stars sind, obwohl sie sich in dramatischen Duetten wie Mascagnis „Tu
qui Santuzza … No, no, Turiddu“, in denen sie auch mal schauspielern dürfen,
besonders wohl fühlen, sind gerade diese Lieder, an die beider Kunst fast
verschenkt erscheint, die Highlights des Abends. Ernesto de Curtis „Torna a
Surriento“ etwa, bei dessen ersten Takten ein Raunen durch die Menge geht.
Oder Romano Musumarras „Il Canto“, das sie innig und anrührend
interpretieren, mit zweistimmigem Finale und Orchester-Ausbrüchen in
allerstrahlendstem Dur. Das ist so hemmungslos lyrisch, dass eine Dame im
Publikum sich zu ihrem Mann wendet und „schööön“ sagt – mit ganz langem „ö“.
Eine fiese schwarze Spinne an Stahlseilen Schön finden das auch die
anderen 18.000 Zuhörer, unter ihren Regenkutten schunkelnd und mitsummend.
Zu Recht. Gut gefüllt ist das Amphitheater, nur ganz oben noch ein wenig
Platz. Den wird man vermutlich nicht zu sehen bekommen, falls man sich das
ganze am 15. Juli im ZDF anschaut. Dafür wurde die Dolce Vita aufgenommen.
Monströs klobige Kameras stehen herum, andere werden über die Bühne
getragen, immer wieder leuchtet jemand der ersten Reihe ins Gesicht. Und
zwischen Menschenmenge und Wolken kreist etwas, das aussieht wie eine fiese
schwarze Spinne an Stahlseilen. Für den Überblick, die Götterperspektive.
Man fühlt sich bei aller Romantik ein wenig überwacht.
Sonst gibt es
noch raschelnde Wärmefolien, Wein- und Bier-Einkäufe und lebendige,
halblaute Unterhaltungen, immer wenn Kaufmann mal nicht selbst in Aktion
ist. Bratwurstduft zieht von den Ständen herüber, während Kaufmann von
Himmel und Meer, Liebe und Verlust singt. Hin und wieder durchbrummt ein
Flugzeug Richtung Tegel die zarteren Passagen. Dann aber haut das RSO ein
paar Tutti ins Rund, die Bravorufe werden lauter, die Standing Ovations
länger.
Und selbst der Gassenhauer „Volare“, den neben unzähligen
Hotelbarmusikern auch Dean Martin und Luciano Pavarotti zu singen sich nicht
zu blöd waren – selbst diese Lied gewordene Eiscreme kann Kaufmanns
Wohlfühlkonzert nichts anhaben. Zu souverän, zu charmant gibt der Sänger den
Unterhalter, zu schamlos badet er die Waldbühne in Wohlklang. Die Menschen
singen mit – halb ironisch, halb ergriffen. Als Rausschmeißer gibt es noch
„Nessun Dorma“ aus Puccinis letzter Oper „Turandot“, eine Art Blaupause all
dieser Tenorarien, die auf einer hohen Note enden. Natürlich trifft Kaufmann
den Ton. Und natürlich ist diese Arie unsterblich und völlig unkaputtbar.
Ohrenbetäubender Jubel brandet auf. Das Publikum tänzelt summend durch
Berliner Sommerpfützen nach Hause.
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