Augsburger Allgemeine, 23.9.2018
VON RÜDIGER HEINZE
 
Liederabend, Bad Wörrishofen, 22. September 2018
Zu erleben: Das Vorbild Jonas Kaufmann
 
Der große Tenor im Unterallgäu: Was ihn auszeichnet, das sind Nuancierung, Delikatesse und künstlerische Intelligenz
 
Er ist ein wundervolles Beispiel dafür, dass Kunst so populär wie hochseriös sein kann: Jonas Kaufmann, von Beruf Tenor, der jetzt im Vorfeld des Festivals der Nationen eine fast schon intime Soirée im Kurhaus von Bad Wörishofen

Soeben sind CD und DVD seines Berliner Waldbühnen-Konzerts vom Juli 2018 erschienen, wo er unter dem Motto „Dolce Vita“ breitenwirksam, massenumarmend und eher extrovertiert italienische Oper und italienische Canzoni schmetterte (Sony Classical). Und schon tritt er in kleinem Rahmen und stark introvertiert im Unterallgäu mit einem Liederabend für die Connaisseuse und den Connaisseur auf: Kammerstücke von Liszt, Mahler, Wolf und Strauss – einsetzend mit den Worten „Vergiftet sind meine Lieder“, endend im offiziellen Teil mit der Frage „Ist dies etwa der Tod?“ Und dazwischen viel (Liebes-)Leid, Weltschmerz, dunkle Träume. Introspektionen eben.

Will man die Qualität des Abends nur knapp umreißen, so müsste man formulieren: Kaufmann beglückt durch ein Höchstmaß an künstlerischer Reife. Er ist ein Ideal für Nuancierung, Feingeist und Feingefühl; er ist ein Vorbild an Textverständlichkeit, Prononcierung und Delikatesse; ihn zeichnen – abgesehen von der reinen Technik – musikalische Intelligenz und ästhetische Ernsthaftigkeit aus.

Fast heldentenoral beginnt der Abend, eben mit Liszts „Vergiftet sind meine Lieder“ – als ob Kaufmann erst einmal beweisen wolle, dass er „Metall“ in der Stimme habe. Aber sofort im nächsten Lied („Im Rhein, im schönen Strome“) nimmt er sich zurück, schattiert ab, lässt seine Stimme spielen im Ausgleich zwischen Brust- und Kopfstimme.

Es sind denn auch die fragilen, leisen, lyrischen Höhen-Töne, die an diesem Abend über alle Maßen beeindrucken. So der delikat, frei angesetzte und ätherisch intonierte „Traum“ in Liszts „Die drei Zigeuner“, die Kaufmann klar als einen Appell ansieht: Carpe diem! Er versteht es bewunderungswürdig, seinen kernig-virilen Tenor im Diskant zu höchster Sensibilität zu führen – wie auch sein diesjähriger Münchner Parsifal unvergesslich demonstrierte: durch Mitleid wissend.

Ganz große Kunst
Dann die fünf Rückert-Lieder von Mahler rund um die Kernaussage: „Ich leb’ allein in meinem Himmel, In meinem Lieben, in meinem Lied“ – geradezu zugeschnitten auf den Dichter, den Komponisten und diesen gegenwärtigen Interpreten, der sich blind versteht mit seinem Klavierbegleiter Helmut Deutsch. Kostbar wissen beide die Conclusio von „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ darzubieten. Das nennt man ein musikalisches Bekenntnis, aus dem sich ihre generelle künstlerische Gestimmtheit ableiten lässt.

Verzweifelter Schmerz wiederum klingt aus Hugo Wolfs „Liederstrauß“ auf sieben Gedichte von Heinrich Heine. Vornehmlich dunkel getönt, vermag sie Kaufmann mit schon baritonal gefärbtem Timbre ins rechte (Zwie-)Licht zu setzen, während der hohe melismatische Vogelgesang aus „Frühling“ in Straussens „Vier letzte Lieder“ vielleicht dann doch besser einem hohen Sopran gebührt.

Einem Sopran wie Diana Damrau, die Straussens ergreifendes Alterswerk vor zwei Jahren in Bad Wörishofen zelebrierte. Aber „September“ und „Im Abendrot“ – beides Stücke voller Lebenssattheit – kosten dann Kaufmann und Deutsch wirkungsvoll elegisch aus, diesen Nachklang auf einen Sommer, auf einen Tag, auf ein ganzes Leben. Ganz große Kunst – auch weil nach der Frage „Ist dies etwa der Tod?“ die zwei Lerchen des Stückes ihr Tirilieren im Flügel-Diskant fortsetzen...

Klar, dass Zugaben fällig wurden. Jonas Kaufmann fuhr mit Richard Strauss fort, unter anderem mit „Ach weh mir unglückhaftem Mann“, in das verstärkt Gestik und Mimik einflossen. Ovationen.


 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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