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Online Merker, 27.4.2018 |
Thomas Prochazka |
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Giordano: Andrea Chenier, Wiener Staatsoper, 26. April 2018
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WIEN/ Staatsoper: ANDREA CHÉNIER |
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Den Jubel des Publikums hart errungen |
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Andrea Chénier — nach Dantons Tod ein weiterer wichtiger Abend im Haus am
Ring mit Anja Harteros und Jonas Kaufmann als Maddalena di Coigny und
Chénier. Und Roberto Frontali, der als Carlo Gérard den stärksten Eindruck
hinterläßt.
II.
Mit dem Libretto von Andrea Chénier bewies
Luigi Illica erneut seine Größe. Die Bestürzung der Gäste im Haus di Coigny
über die Nachricht vom Fall der Statue Henri IIII. — knapper läßt sich die
Absurdität der Zeit kaum beschreiben. Der Kunstgriff des Librettisten,
Chéniers letztes Gedicht »Comme un dernier rayon« (in der Oper »Come un bel
dì di maggio«) dem Tenor als Abschied von der Welt in die Kehle zu legen:
genial. Giordanos Idee, im zweiten Akt in die große Scene Gérard —
Incroyable — Chor (»Ecco laggiù Gérard!«) die Marseillaise einzuweben, ohne
daß diese Melodie sich zu stark in den Vordergrund drängt: ebenfalls genial.
III.
Durch den Stoff sind Ort und Zeit der Handlung festgelegt.
Die Wiener Produktion in den Bühnenbildern Rolf Glittenbergs, den Kostümen
Milena Canoneros und den szenischen Resten der Bemühungen Otto Schenks
honoriert dies. Mit sängerischem und schauspielerischem Leben erfüllt,
bedarf’s nicht mehr. Die verhandelten Prinzipien: Sie werden auch so
augenscheinlich.
Der Wunsch nach Veränderung … die mit ihr
einhergehende Gewalt, wenn sie denn losbricht, die Ohnmacht, Überbordendes
nicht aufhalten zu können, die Enttäuschung und Resignation ob der nicht
bedachten — und vielfach nicht gewollten — Folgen… »La rivoluzione i figli
suoi divora!« (»Die Revolution verschlingt ihre Kinder!«), sinniert Gérard.
Man merke auf und verlasse das Opernhaus mit wachem Auge: Dieselben
Themen springen einen an von den Titelseiten der ausgelegten Journale. Hebt
man den Blick, starren einem fratzengleich die nämlichen Parolen der
politischen Botschaften von den Litfaßsäulen entgegen. Wer bedarf da einer
»Neudeutung«? Und: Kann Oper aktueller sein?
IV.
Roberto
Frontali ist — nicht Michonnet, sondern Carlo Gérard. (Faszinierend, wie
Eindrücke haften bleiben an Vergangenes, wenn es stark war.) Er tritt an im
Bewußtsein, daß wenige im Parkett sich für sein eröffnendes Arioso
interessieren. Alle warten sie auf den tenoralen Messias unserer Tage. (So
der Eindruck.) Aber Frontali läßt sich nicht beirren. Läßt alle teilhaben an
seiner Geschichte über die Ungerechtigkeit der Stände. (Welche heute doch
nur in anderen Gewändern einherschreitet.)
In »Nemico della patria«,
allein auf offener Bühne, gelingt Frontali das Schwerste überhaupt: zu
berühren. Er wird es in seiner Verteidigung Chéniers und dem Abschied von
Maddalena noch einmal tun… Frontali zeigt in Gérard einen Menschen: den
Begehrenden, den Wütenden, den Liebenden. Und, tragisch, den Hellsichtigen.
(Das eint ihn mit Danton.) Frontalis Bariton präsentiert sich kernig, mit
ein wenig rauhbeiniger Herzlichkeit. Seine Stimme spricht über alle Register
hinweg gleich gut an, klingt gesund und kräftig, wird gut geführt. Und, das
Wichtigste: Da zeichnet ein Sänger das Portrait seiner Rolle. (Des wohl
komplexesten Charakters des Abends.)
V.
Zweites, durchaus
überraschendes Beispiel: Zoryana Kushpler. Sie haucht der Madelon
Menschliches ein. Mit mehr als rollendeckender Stimme und berührendem Spiel
zeichnet Kushpler die blinde Alte. Wie sie, starr vor sich blickend, mit
zittriger Hand ihr Enkelkind hingibt, im nächsten Augenblick doch nicht von
ihm lassen kann, widerwillig nur sich die Hände der beiden trennen… Dazu
Giordanos großartige Musik dieser Scene… Starken Eindruck empfing ich davon.
Sehr präsent — stimmlich wie darstellerisch — auch Wolfgang Bankl als
pfeiferauchender Mathieu. Die Probenzeit als Simon in Dantons Tod: Sie
schien mir nicht vergeudet (hie wie da).
Keine Schreckensherrschaft
ohne Spitzel, kein Andrea Chénier ohne Incroyable. Carlos Osuna leiht ihm
mit dieser Serie erstmals Spiel und Stimme. Mit weicher, vollerer Stimme
denn üblich. Im Spiel allerdings: nicht so prägnant, stimmlich so gefährlich
wie seine Vorgänger. Das Psychogramm des Maximilien Robespierre, gezeichnet
von Thomas Ebenstein: taugliches Vorbild, dem des abzusehen wäre.
Ilseyar Khayrullova war für heutige Verhältnisse eine fast eine
rollendeckende Bersi. Donna Ellen bemühte sich als Gräfin di Coigny,
Benedikt Kobel mühte sich als L’Abate. Besser traf es da Orhan Yildiz als
Roucher, der sich neben Kaufmanns Chénier seine Eigenständigkeit zu bewahren
wußte.
VI.
Marco Armiliato leitete Chor und Orchester der
Wiener Staatsoper mit sicherer Hand durch jenes Werk, mit welchem er im
November 1996 am Haus debutierte: die letzten Vorstellungen, welche Luciano
Pavarotti an der Staatsoper sang…
Armiliato übertrug jene Ruhe auf
das Orchester, welcher es in den letzten Wochen des öfteren gebrach.
Prägnant klang, was aus dem Graben aufstieg, mit wohlgesetzten Höhepunkten,
kaum je die Sänger überdeckend. Und dennoch: Dem Abend eignete Statik. Man
schien nicht recht vom Fleck zu kommen, das Feuer nicht zu zünden. Als lägen
Schatten über der Vorstellung, welche nicht weichen wollten. (Bis es
Kushpler und Frontali im dritten Akt gelang, sie zu vertreiben.) Das
Vorwärtsdrängende, Mitreißende: Es stellte sich nur phasenweise ein.
VII.
Anja Harteros gibt mit dieser Serie ihr Wiener Rollen-Debut als
Maddalena di Coigny. Welche Wunder waren uns berichtet worden aus München…
Der Abend machte deutlich: Man glaube nur an Wunder, welchen man selbst
beiwohnte.
Gewiß, Harteros zählt zu den ersten Sängerinnen unsere
Tage. Und gewiß vermochten andere auf einer in dieser Qualität gesungenen
Vorstellung fünf Jahre einer internationalen Carrière zu bauen. Auch ging
mit Harteros eine Sängerin zu Werke, die hören ließ, was mit ausgezeichnetem
technischen Rüstzeug möglich ist. Was wir im Opernalltag so oft entbehren…
Und dennoch: An diesem Abend blieben Wünsche offen: Da gebrach es
Harteros’ Stimme im tiefen Register hin und wieder an Volumen, gerieten die
Spitzentöne des öfteren schrill, machte sich übermäßiges Vibrato bemerkbar.
»La mamma morta« wohnte Beiläufigkeit inne, ließ das innere Feuer missen.
Harteros spielte die Maddalena. Frontali war Gérard.
Bemerkenswert:
Wann immer Harteros und Kaufmann sich fanden auf gemeinsamer Scene, schienen
sie sich stimmlich gegenseitig anzufeuern, wurde das Ganze mehr als die
Summe seiner Teile. Da wurde deutlich, wie gut die zwei einander von vielen
gemeinsamen Auftritten kennen. Die beiden Duette im zweiten und vierten Akt
bildeten — mit der Chor-Scene aus dem zweiten und Gérards großer Scene aus
dem dritten Akt — die Höhepunkte des Abends.
VIII.
Jonas
Kaufmann als Andrea Chénier erfüllt die Erwartungen seiner Anhänger. Seine
Stimme klingt immer ein wenig verschattet, in einigen Phrasen sogar nasal.
Wirklich frei hört sie sich nur an bei den forte-Ausflügen in die oberen
Regionen: Da blüht sie auf, erinnert in der Tongebung ein wenig an Franco
Corelli.
Kaufmann klingt den ganzen Abend über, als sänge er mit
enormem Druck. Er meidet die notierten piani (z.B. in seiner Scene zu Beginn
des zweiten Aktes), sucht, wo immer möglich, den großen Ton. Das ergibt dann
allerdings große Oper, denn Kaufmann weiß sein Instrument gekonnt
einzusetzen. »Un dì all’azzurra spazio« beispielsweise wird mit Finesse
vorgetragen. … Und entbehrt dabei doch gleichzeitig jener Leidenschaft,
welche den Poeten auszeichnen sollte. (Das gibt es.)
Es scheint, als
ob der Münchner an diesem Abend an jedem Ton, jeder Silbe zu arbeiten habe —
und Kaufmann ist ein ernsthafter Arbeiter. Der Jubel seines Publikums: Er
ist diesmal hart errungen.
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