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Der Neue Merker, Juli 2017 |
Susanne Kittel-May |
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Verdi: Otello, Royal Opera House, London, 28. Juni 2017
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„OTELLO”- Royal Opera House 28.6. — Er ist wieder da! |
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O Gloria, Otello war! Und wie er war! Von der ersten Note an zog Antonio
Pappano das ganze Haus in seinen Bann. Vergessen war die Enge des
„Amphitheaters" im Royal Opera House, dass die Oberschenkel der Nachbarn an
meinen klebten und dass nur deshalb kein Kampf um Armlehnen stattfand, weil
es keine gab.
Was sich aus dem Orchestergraben und auf der Bühne
entfaltete, war Krimi und Tragödie, Love Story und Psychothriller, und für
alles fand Pappano die richtige Dynamik und das richtige Tempo. Der
differenziert herausgearbeitete Unterschied zwischen den sanften, leisen
Passagen, an denen Otello erstaunlich reich ist, und den lauten, brutalen
Stellen entwickelte eine ungeheure Sogwirkung. Der Klang war vielfarbig,
vielschichtig und transparent, ungewohnt für Verdi.
Ja, und Jonas
Kaufmann w a r Otello. Es gab kein schwarzes Loch im Zentrum dieser Oper
(wer hat das geschrieben?) Vom strahlenden Auftritts-Esultate bis zum
letzten Seufzer war er Otello. Das Liebesduett wurde wunderbar zart
gesungen, nicht in dem brüchigen Falsett, auf das er manchmal zurückgreift,
sondern mit gut gestützter Voix mixte. Zum Dahin schmelzen! Er ist definitiv
wieder da und bestens bei Stimme, allerdings scheint er die Partien etwas
zurückhaltender anzugehen als vor seiner Krankheit, das war schon bei Andrea
Chenier so, als er bei der Premiere wesentlich zurückhaltender als bei den
Folgevorstellungen war und die letzte die beste war. In London musste ich
mich leider mit einer Vorstellung begnügen und ich glaube, diese dritte war
die bisher beste, und ich glaube auch, dass es noch besser werden kann. Es
war immer noch viel Kontrolle zu spüren — Kaufmann hat ja in diversen
Interviews gesagt, er fürchtet beim Otello, sich so in der Musik zu
verlieren, dass es seiner Stimme schadet. Ein bisschen mehr Zucker für den
Affen, ein bisschen weniger Kontrolle und mehr Selbstentäußerung wäre
vielleicht noch drin. Aber auch so war es eine beeindruckende Leistung. Das
„Dio! Mi potevi scagliar" ging unter die Haut, die Sterbeszene sowieso. Die
hohen Töne kamen mühelos, die Stimme glänzte wie dunkle Bronze. Er ist
wieder da! Marco Vratogna als Jago hat mich positiv überrascht. Ich hatte
ihn mal als Amonasro vor Jahren gehört, da war er trocken und stumpf—
vielleicht schlechte Tagesverfassung. Was er diesmal mit seiner Stimme
anstellte, war ebenfalls beeindruckend. Er wurde ja auch in den Kritiken
extrem gelobt, m. E. zu Recht. Maria Agresta als Desdemona mit teils
berückenden, teils matten Pianohöhen blieb insgesamt etwas blass.
Die
Inszenierung tat keinem weh, brachte aber auch keine neuen Einsichten in das
Werk. Ein abstrakt-dunkler Bühnenraum, meistens klaustrophobisch-eng. Das
passt zur Geschichte. Wenn dann im 1. Akt das Holländer-Schiff als
detailreiche Galeone o. ä. erscheint und im letzten Akt das Schlafzimmer der
Desdemona aussieht wie von Ikea designed, sind das Stilbrüche, deren Sinn
sich mir nicht erschließt. Den Esultate-Auftritt hat der Regisseur
versemmelt: Ich war so auf das Schiff im Hintergrund fokussiert, aus dem
Menschen mit roten Fahnen kamen, und dachte: „Wo ist er denn? Er singt doch
schon!", dann ziemlich spät erst habe ich Otello im Vordergrund links
entdeckt. Anderen ging es genauso, es lag also nicht an mir.
Was die
Personenregie angeht, hat den Regisseur wohl vor allem der Jago
interessiert, der war sehr genau gearbeitet, manchmal vielleicht ein
bisschen zu dick aufgetragen. Wenn er Otello ins Ohr flüstert, schreit ja
alles: „Das ist der Böse!" Dass Otello das nicht merkt... Eifersucht macht
eben genauso blind wie Liebe. Kaufmann wenig und Agresta öfter nahmen
Zuflucht zum bekannten Gestenrepertoire. Wie Otello im Liebesduett vor
Desdemona halb kniet, halb mit seinem Kopf in ihrem Schoß liegt, das sah
sehr unbequem aus. Respekt, wer da noch so singen kann! Die Szene, in der er
sie als Hure beschimpft, war von beiden großartig gespielt und gesungen.
Besonders beeindruckt hat mich die Gestaltung des Mordes, die Brutalität,
mit der Otello Desdemona Mund und Nase zuhält um sie endgültig zum Schweigen
zu bringen, sie zu ersticken. Die anschließende Sterbeszene von Otello war
großartig gesungen. Schade, dass er es nicht mehr geschafft hat, sie zu
küssen. Susanne Kittel-May
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