Verdi: Don Carlos, Paris, Oktober 2017
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Vokaler Luxus im großen Rahmen |
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Don Carlos - die Oper des großen Italieners nach der Vorlage des ebenso
großen deutschen Klassikers, uraufgeführt in Paris. Als französische
Variante mit allem Drum und Dran einer grand operá. Und doch ist die vom
Komponisten selbst zusammengekürzten italienischen Variante die weit
häufiger gespielte. Ein Stück europäischer Musikkultur par excellence ist
Don Carlos (oder Don Carlo) damit aber allemal. In Paris ist sie jetzt
wieder (fast) in ursprünglicher Länge (ohne Ballett) und in französischer
Sprache zu erleben. Zu Zeiten der Uraufführung, als Paris die Welthauptstadt
der Oper war, diktierten nicht nur die Unterhaltungsbedürfnisse des
zahlenden Publikums die Struktur der Oper, in der kein Ballett fehlen
durfte, sondern auch die Fahrpläne der Vorortzüge die Gesamtlänge der Werke.
Heute gibt es externe Faktoren anderer Art, vom Aufmerksamkeitsbonus der
Besetzungsliste bis zu der Streikfreude der selbstbewussten Gewerkschaften,
mit denen sich noch jeder Intendant herumärgern musste. Auch bei der
Premiere zur Eröffnung der aktuellen Saison machten am Vormittag noch
Streikgerüchte die Runde. Es blieb aber bei einer großen (Macht-)
Demonstration der Gewerkschaften, die über den Place de la Bastille an der
Oper vorbeiführte. Die ausverkaufte Premiere fand wie geplant statt.
Natürlich die Eröffnungspremiere Chefsache. Also steht Philippe Jordan,
den sich die Wiener Philharmoniker ab 2020 gesichert haben, am Pult. Und
(ver-)führt sein Orchester zu einer eleganten Opulenz sondergleichen. Ohne
herumzuprotzen, mit einem wenn schon, dann kalkulierten Pathos. Doch immer
mit Präzision und dem Sinn für das Ganze. Sein Vorteil war, dass er nicht
deshalb dosieren muss, damit die Sänger "durchkommen". Das war für niemanden
der kaum zu überbietender Weltstars in den zentralen Rollen, aber auch für
niemanden von der übrigen ebenfalls handverlesen besetzten Partien ein
Problem.
Allen voran begeisterte Elēna Garanča als Prinzessin Eboli
- lässig, verführerisch glühend, dann verzweifelt auftrumpfend, aber immer
erhobenen Hauptes. Grandios. Sie ist hier eine (fast schon) moderne Frau,
die gleichwohl auch (oder besser: bewusst) ihre Attraktivität einsetzt. Und
ihr Scheitern am Ende erkennt. Garanča ist in Höchstform. Brilliert mit
ihrer technischen Perfektion und mit der kalkulierten Glut ihres Timbres
wirkungssicherer denn je. Nach ihrer letzten großen Arie tobt denn auch der
Saal. Und das ganz zurecht. Als Rodrigo Posa profitierte der wohltimbriert
kernige Ludovic Tézier von der Orientierung der Regie aufs Persönliche,
lässt mit der Wärme des Freundes jede ideologische Kälte verschwinden. Bei
seinem mit Spannung erwarteten Debüt strahlt der deutsche Jonas Kaufmann als
französischer Don Carlos mit wohldosierter, gut fundierter, tragisch
überschatteter Leidenschaft. Bestechend klar lodert Sonya Yoncheva als
Elisabeth, die sich mühelos gegen jede Orchester oder Ensemblewucht zu
behaupten versteht. Dazu Ildar Abdrazakov als Philippe II. und Dmitry
Belosselskiy als Großinquisitor mit höchst profunden Basspartien. Jede
kleine Rolle ist luxuriös besetzt - der Chor in Hochform! Vokal bot die
Bastille-Oper diesmal die Weltklasse einer Referenzbesetzung, die man sich
kaum besser zusammengestellt vorstellen kann.
Dass Stéphane Lissner
den Polen Krzysztof Warlikowski als Regisseur verpflichtete, versprach zudem
einen ambitionierten szenischen Zugriff. Der hatte 2006 im Palais Garnier
Glucks Iphigénie en Tauride und an der Bastille Janáceks Sache Markopulos
(2007), Parsifal (2008) und Karol Szymanowskis Król Roger (2009) inszeniert.
Gehörte damit quasi zu Gerard Mortiers Erneuerungsprogramm für Paris. Im
Falle von Don Carlos boten der Regisseur und seine diesmal dominierende
Ausstatterin Małgorzata Szcz ęśniak zwar durchaus detaillierte Charakter-
und Beziehungsstudien in einem effektvollen Rahmen, kapitulierten aber
letztlich vor der Wucht der Tableaus und vor der politischen Dimension des
Stoffes. Es gibt schöne Bilder - wie den vom Escorial inspirierten
holzvertäfelten Einheitsbühnenraum, in den dann der Fechtsaal der Eboli, das
private, mit Sesseln bestückte Heimkino des Königs, das Parlamentsauditorium
fürs Autodafé oder der Käfig für den gefangenen Carlos hineingefahren
werden. Dazu Kostüme von zeitloser Eleganz (samt Ascot-tauglicher Hutmode)
ohne jede Spanienfolklore. Diese Hochglanz-Ästhetik wird allenfalls von
einem flackernden Videoschleier wie bei alten Filmen oder Einblendungen
eines Carlos mit Pistole an der Stirn gebrochen. Ansonsten erahnen wir nur
die Kraft, die es Elisabeth und Carlos kostet, ihre Begegnung im
Fontainebleau-Akt und vor allem den Funken, der da übergesprungen war, zu
vergessen.
Wir erleben eine Eboli mit (auch wörtlich) gezücktem
Degen und einem gefährlich selbstbewussten Format. Oder einen König, der ein
paar Drinks braucht, bevor er sich fürs Autodafé aufrafft. Aber erfahren
nicht wirklich, was Posa am Schicksal Flanderns eigentlich so umtreibt und
wie brutal die Kirche ihre Macht durchsetzt. An die Ketzerverbrennung wird
lediglich durch einen symbolisch auf Kommando umfallenden Gefangenen
erinnert. Die flandrischen Gesandten treten als parlamentarische
Musterschüler auf. Auch die beiden Schlüsselszenen, in denen der König erst
mit Posa und dann mit dem Großinquisitor zusammentrifft, kommen nicht
wirklich über die Dimension einer privaten Schwäche des Monarchen hinaus.
Dafür bekam das Regieteam kräftige Buhs. Ansonsten wurde eine Sternstunde
der Oper bejubelt.
FAZIT Philippe Jordan und ein Ensemble der
Extraklasse triumphieren mit Don Carlos.
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