NZZ, 14.3.2017
von Marco Frei
 
Giordano: Andrea Chenier, Bayerische Staatsoper, 12. März 2017
Die Liebe in Zeiten des Terrors
 
Beklemmend dringlich trotz historischem Setting präsentieren sich zwei Münchener Neuproduktionen. Das Gärtnerplatz-Theater variiert «Schindlers Liste», die Bayerische Staatsoper gibt «Andrea Chénier».

Das neue Jahr hat für Jonas Kaufmann nicht gut begonnen. Ein Hämatom auf den Stimmbändern hatte ihn lahmgelegt, seit Herbst musste der deutsche Tenor alle Auftritte absagen, sogar die Eröffnung der Elbphilharmonie in Hamburg. Es ist nicht das erste Mal, dass Kaufmann krankheitsbedingt pausieren muss, allerdings noch nie derart lang. In Paris wagte er unlängst einen ersten Neustart, mit Richard Wagners «Lohengrin», und jetzt das langersehnte «Comeback» an der Bayerischen Staatsoper.
Mit angezogener Handbremse

In München gestaltet Kaufmann die Titelpartie des veristischen Vierakters «Andrea Chénier» von Umberto Giordano. An seiner Seite die Duopartnerin Anja Harteros in der Rolle der Maddalena di Coigny, der aristokratischen Geliebten des Dichters Chénier, der in der Französischen Revolution unter dem Fallbeil endete. Leider konnte Kaufmann an der Premiere gesanglich nur eingeschränkt überzeugen. Zwar ist er alles andere als «verbraucht», eben kein zweiter Rolando Villazón, wie im Vorfeld der Premiere schon geunkt wurde; allerdings wird er sich nach dieser Zwangspause mental erst noch weiter freisingen müssen.

Im Vergleich zur Londoner «Chénier»-Produktion von 2015 am Royal Opera House, wo er unter Antonio Pappano ebenfalls in der Titelpartie zu hören war (beim Label Warner auch auf DVD erhältlich), singt Kaufmann jetzt in München gleichsam mit «angezogener Handbremse» – ungewohnt gehemmt. Selbst im finalen, todesdüsteren Duett mit Harteros, in dem Chénier und seine Geliebte im Angesicht ihrer Hinrichtung ihre Liebe beschwören, bleibt Kaufmanns Gesang insgesamt recht glanzlos und matt, im luzid-fragilen Piano gar brüchig. Die bleibenden Hörmomente sind auch hier fast alle Harteros zu verdanken.

Statt einer eitlen «Ich-Show» zu verfallen, unternimmt Harteros an der Premiere alles, um ihren Duopartner so gut wie möglich jede stimmliche Hemmung zu nehmen und mitzutragen. Sie passt sich hörbar dem dunklen, baritonalen Timbre und der Dynamik von Kaufmann an, geht merklich auf ihn ein, mit zutiefst berührender Empathie. Eine derart noble, edle Geste authentisch gelebter Mitmenschlichkeit erlebt man am Theater ganz selten. Und Harteros ist es auch, die dem Dirigenten Omer Meir Wellber viel künstlerische Kulanz entgegenbringt.

Denn der 35 Jahre alte Wellber hat mit dem Bayerischen Staatsorchester bisweilen hörbar Mühe, ein konzises Profil aus der höchst komplexen Partitur herauszuarbeiten. Die Musik changiert zwischen barocken Hoftänzen einerseits sowie Revolutionsgesängen und veristischer Psychologisierung andererseits – diese Ebenen greift Philipp Stölzl in seiner Regie und seiner Bühne auf. Nach Baukastenprinzip entwirft der Filmregisseur unterschiedliche Guckkästen, die auf mehreren Ebenen spielen. Im ersten Akt feiert der Adel oben seine dekadenten Feste, während unten das Fussvolk schuftet. Schon im zweiten Akt kehren sich die Verhältnisse um.

Historisierungen

Nun herrschen oben die Revolutionäre, während unten in den Kerkern die Aristokraten auf ihre Exekution warten. Das grosse Dilemma dieser Inszenierung sind die Baukastenelemente, die unaufhörlich über die Bühne geschoben werden. Sie engen das Spiel der Solisten sträflich ein, schenken der szenischen Darstellung kaum Raum, weshalb sich auch die sonst so einnehmende Bühnenpräsenz von Kaufmann und Harteros nicht ganz entfalten kann. Damit hat Luca Salsi als Revolutionär Carlo Gérard weniger Probleme.

Sein sonorer, wohlnuancierter Bariton überzeugt auch klangdramaturgisch, wohingegen die dunklen Timbres von Kaufmann und Harteros den jugendlichen «Sturm und Drang» ihrer Partien nur bedingt hörbar machen. Sonst aber wird in Stölzls Inszenierung das fast schon stalinistische Schreckensregime des gefährlichen Ideologen und Demagogen Robespierre historisierend konserviert, bleibt eine Folie der Vergangenheit ohne direkten Gegenwartsbezug.
 



 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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