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Die Welt, 13.03.2017 |
Von Manuel Brug |
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Giordano: Andrea Chenier, Bayerische Staatsoper, 12. März 2017
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Bringt mir den Kopf von Jonas Kaufmann! |
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Der Regisseur Philipp Stölzl drehte Videos für Rammstein und Nordhäuser
Eiskorn, Filme mit der Eiger-Nordwand und Winnetou. Dazwischen macht er –
wie jetzt in München – Oper. Kann das gut gehen?
Manchmal ist er
doch lang der Weg von Mailand nach München. Manchmal braucht es für die gut
500 Kilometer über die Alpen 121 Jahre. So lange jedenfalls mussten
vergehen, bis Umberto Giordanos 1896 an der Scala uraufgeführter
hochdramatischer Revolutionsvierakter „Andrea Chénier“ nun auch an der
Bayerischen Staatsoper über die Bühne gehen konnte. Inszeniert von Philipp
Stölzl.
Eben jenem Filmemacher, der sich hinter der Kamera heute mit
Rammstein und morgen mit Tic Tac beschäftigt, mit Bergsteigern im Schnee,
einem mittelalterlichen Arzt, einem deutschen Dichter und einem noch
deutscheren Indianer, mit Madonna, Gianna Nannini, Marius
Müller-Westernhagen und den Toten Hosen.
Aber eben auch mit der Play
Station, der Deutschen Bank, Nordhäuser Eiskorn, Rolex, Weihenstephaner und
der Oberösterreichische Energie AG. Und der zwischendurch noch Opern und
Operetten von Weber und Wagner, Strauß und Offenbach, Leoncavallo, Mascagni
und nun eben Giordano in Szene setzt. Das aber alles nicht ganz so
gleichzeitig wie es in dieser Aufzählung den Anschein hat.
Das
Theater war ihm eigentlich zu fad
Die Werbefilme und Videoclips waren
zuerst. Und sie waren eigentlich auch nur ein Seitenpfad für den 1967 in
München geborenen Stölzl. Der Bühnenbildner gelernt, Bühnenbilder gebaut
hat. Und dann doch dem Theater wieder verloren zu gehen drohte. Da war es
ihm nämlich fad.
Und weil er den mitunter theatralischen Spieltrieb
wohl von seinem Vater, dem extrem umtriebigen Museumsdirektor,
Ausstellungsmacher, Bücherschreiber, Feuilletonchef, Kultursenator,
Politiker und Hochschulpräsidenten Christoph Stölzl geerbt hatte, so büxte
er aus – extrem erfolgreich als Videoclip- und Werbespotregisseur. 1997
macht er sein erstes Musikvideo für Rammstein.
Dann kam die
Filmleidenschaft durch. 2002 drehte Philipp Stölzl die trashige Kolportage
„Baby“. 2008 folgte „Nordwand“ in der Tradition des deutschen Berg-, aber
auch Blut- und Bodenfilms, wo schon deutlich wurde, wie sehr sich der
Regisseur mit Genres auseinandersetzten kann. Aber oft fehlt ihm der Mut zur
Distanz und der inhaltliche Ansatz, über das Zitat hinauszukommen, sein
Material zu etwas Neuem zu verformen.
„Goethe“! war 2010 dann ein
romantisches Sturm-und-Drang-Märchen über einen verliebten Popstar der
Feder, das sich einige historische Freiheiten herausnahm und den echten
Johann Wolfgang mit seiner Romanfigur Werther vermengte. „Der Medicus“ nach
Noah Gordon blieb dann drei Jahre später nur die routiniert-opulente,
millionenteure Bestsellerverfilmung eines ebensolchen Mittelalterwälzers, in
dem weder an Menschen noch an Maschinen gespart wurde. Dazwischen gab es
noch den amerikanischen Action-Flop „Die Logan-Verschwörung“.
Klar,
dass die Oper auf solch einen semiprominenten Quereinsteiger sofort
reagierte. Nachdem er vorsichtiger- und geschickterweise 2005 im weit
abgelegenen Meinigen mit einem „Freischütz“ debütiert hatte, der sich in der
Folge von Robert Wilsons „The Black Rider“ geschmeidig an Murnaus
„Nosferatu“ und anderem frühen Horror-Kintop als Bildvorlagen bediente,
wurde Philipp Stölzl gleich von Jürgen Flimm an die Ruhrtriennale engagiert.
Da war jemand, dachte Flimm damals wohl, der das Metier ein wenig
kannte, von zu Hause eine Prise Hochkultur mitbekommen und eine
erfrischende, freilich auf Tradition und Opulenz setzende Haltung des
fröhlichen Staunens anzubieten hatte. Ohne jede Ideologie, durchaus dem
Bildertheater verpflichtet und sich darin wohltutend von der herrschenden
Dramaturgenstrenge – ja -schwurbelei – unterscheidend.
Zu viel Zuviel
erstickt die Magie des Theaters
Philipp Stölzl, der wollte vor allem
spielen, die uralte Magie des Theaters mit dessen tradierten Mitteln neu
entfesseln. Das sieht man immer noch bei diesem Münchner „Andrea Chénier“,
immerhin Stölzls 13. Bühnenproduktion: Da wurden sonder Zahl Kulissen gebaut
und Kostüme geschneidert, Perücken geknüpft und Hüte dekoriert. Doch
Atmosphäre, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung lassen sich damit noch
nicht unbedingt herbeibeschwören.
Stölzl stopft gern seine
Spielfläche voll, doch dann bekommt er sein Personal kaum mehr herunter. Wo
im Atelier die Klappe fällt, muss es im Livetheater irgendwie weitergehen.
So wird gerade Leichtgewichtiges schnell wieder schwerfällig, Einfälle lösen
sich nicht auf, bleiben halb erzählt in der plötzlich dünnen Bühnenluft
hängen.
Den „Chénier“ inszeniert er als Trikoloren-Panorama in vielen
kleinen Genrebildern, die als mit Personal überfüllte Gebäudesetzkästen hin-
und hergeschoben, immer wieder neu zusammengebaut werden. Das besitzt
Schauwert, erzählt aber kaum mehr als im Libretto steht.
So reduziert
sich das Werk noch mehr auf eine kitschige Liebesschnulze zwischen einem in
die Fänge der Revolution geratenden Dichter und einer Adeligen, die, von
ihrem ehemaligen Diener als rachsüchtigem Bariton-Dritten verfolgt,
gemeinsam auf die Guillotine steigen. Ganz realistisch und fast schon wieder
liebenswert täppisch ausgebreitet. Und am Schluss wird dem gierigen Publikum
sogar der blutige Kopf von Jonas Kaufmann hingehalten!
Stölzl gefällt
sich dabei leider arg im allzu flachen Spaß des Verkleidens. Das passiert
ihm öfter. Sein Debüt in der großen Oper, Hector Berlioz’ komplexes
Historienspektakel „Benvenuto Cellini“ auf der Cinemascope-Bühne der
Salzburger Festspiele, wurde 2007 zum leerlaufenden Ausstattungsmenetekel im
Breitwandformat. Seine Wagner-Inszenierungen („Der fliegende Holländer“,
„Rienzi“, „Parsifal“) blieben im Zitat historischer Kostümschinken stecken;
gar nicht klappte es mit dem subversiven Humor einer „Fledermaus“ oder des
„Orpheus in der Unterwelt“.
Am besten gelang ihm bisher bei den
Salzburger Festspielen vor zwei Jahren das ewige Operndoppel „Cavalleria
Rusticana“ nebst „Bajazzo“ – ebenfalls mit Jonas Kaufmann. Vor allem
Mascagnis Bauerndrama dekonstruierte er in strengem Schwarz-Weiß mit
wirklich filmisch soghaften Close-ups, Rückblenden, Vorschauen und
gleichzeitig ablaufenden Sequenzen in sechs Räumen auf zwei Stockwerken.
Revolte in einem Puppenhaus
In seinem jüngst für das Fernsehen
inszenierten „Winnetou“-Dreiteiler wollte Philipp Stölzl neuerlich eine
alte, bekannte Geschichte frisch erzählen. Es blieb in der ästhetischen
Absicht stecken. Ähnliches gilt jetzt für „Andrea Chénier“: Das war die
Revolte als Puppenhaus, mit den Domestiken in der Küche und den Adeligen im
Salon, lebende Bilder, „Downton Abbey“ mit Puderperücke.
Seltsam
statisch war es aber auch, wohl unter anderem weil die Sängerstars schlecht
beleuchtet viel zu lange in Kellerlöchern verharren mussten. Der zumindest
in seinen dunklen Vokalfarben sich dem anvisierten Otello nähernde Jonas
Kaufmann, wie auch die zu großer Sopranemphase sich steigernde Anja
Harteros, sangen sich erst im zweiten Teil frei. Omer Meir Wellber
dirigierte laut und effektvoll.
Für Philipp Stölzl, hager, im
schwarzen Anzug, ohne die noch in der Pause getragene Schiebermütze, blieben
beim Verbeugen aber nur viele Buhs übrig. Weil er hier wieder mal zwischen
gestern und heute stecken geblieben, eine Bühne eben nicht mit dem frei
schwebenden Blick des Kinos zu knacken und zu erobern ist. Ein damit
kokettierender Fremder in der Oper – immer noch. |
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