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Südwest Presse, 14.03.2017 |
Von Jürgen Kanold |
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Giordano: Andrea Chenier, Bayerische Staatsoper, 12. März 2017
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„Andrea Chenier“ in München: schön altmodisch |
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Eigentlich ist er ja ein Gefährte Puccinis, dieser Umberto Giordano. Nur
dass seine Oper „Andrea Chénier“, die ein melodiös-dramatisches Rührstück
ist über das Schicksal eines (wahren) Dichters der Französischen Revolution,
partout nicht den Erfolg einer „Tosca“ hat.
Die Bregenzer Festspiele
boten den „Chénier“ 2011/2012 mit dem von Jacques-Louis David zur Ikone
gemalten Jakobiner Marat als Bühnenskulptur: nicht ermordet in der Wanne
liegend, sondern als Pietà im Bodensee. Es war ein Massenereignis und
trotzdem ein Zuschauereinbruch für Bregenzer Verhältnisse – was der
Operntourist nicht kennt, das bucht er nicht. Jetzt hat die Bayerische
Staatsoper eine Inszenierung herausgebracht, eine doppelte Premiere: der
1896 uraufgeführte „Andrea Chénier“ erstmals überhaupt im Nationaltheater!
Es ist ein Melodram über die Anfänge der Revolution bis zur
Schreckensherrschaft; ein schreibender Romantiker und ein Mann aus dem Volk,
der zum Vertrauten Robespierres aufsteigt, kämpfen nicht nur für die
Freiheit, sondern auch um eine schöne Frau, die Tochter einer Gräfin.
Unermessliche Liebe und der Terror einer Revolution, die ihre Kinder frisst
– die Liebe siegt natürlich, mit tragisch tödlicher Konsequenz, jedenfalls
entscheidet sich Maddalena für Chénier und das Schafott.
Zahllose
Szenen und historische Bilder, eine schön plakativ leidenschaftsvolle,
illustrierende Musik aus dem italienischen Verismo: Es ist das reine
Opernkino. So hat der Münchner Intendant Nikolaus Bachler mit Philipp Stölzl
folgerichtig einen Regisseur verpflichtet, der im Musiktheater wie im Film
(„Nordwand“, „Der Medicus“ und zuletzt „Winnetou“) für Aufsehen sorgt. Und
mit Superstar Jonas Kaufmann einen Tenor für die Titelpartie, der sich die
Seele aus dem Leib singt. Was kann da schiefgehen?
Es ist tatsächlich
ein cinemascopisches Opernspektakel geworden. Vor zwei Jahren inszenierte
Stölzl für die Salzburger Osterfestspiele „Cavalleria Rusticana“ und
„Pagliacci“ in einer Stummfilmästhetik, „Andrea Chénier“ in München ist
jetzt buntes Hollywood, so ein bisschen „Vom Winde verweht“ im Frankreich
des späten 18. Jahrhundert. Oder besser: Dieser kostümteure Realismus, diese
Kulissenschieberei sehen aus, als hätten die Münchner eine
Franco-Zeffirelli-Produktion der New Yorker Met aus den 70ern neu belebt.
Gibt‘s eigentlich gar nicht mehr, so verschwenderisch Konventionelles.
Höchstens noch auf alten Videos.
Teure Puppenhausbühne
Was tut
ein Filmregisseur, der keine Szenen schneiden kann, nicht zoomen, nicht
schnell wechseln von der Totalen zum nächsten Setting? Er setzt auf
Simultanbühnen, auf den Querschnitt eines Puppenhauses. Diesmal der Clou:
eine zweistöckige Bühnensituation, oben im Rokoko-Dekor feiert der Adel,
unter im schmutzigen Keller das unterdrückte, aufbegehrende Volk. Und das
wechselt dann nach der Revolution. Der Zuschauer darf sich zwei Stunden lang
den Film selbst zusammendenken. Wenn Gérard sich über Maddalena hermacht,
foltern sie in den Katakomben Chénier . . .
Das ist ein Schaustück,
mit Giordanos Soundtrack, dirigiert vom israelischen Shootingstar Omer Meir
Wellber: emotional, klangfarbentriefend, laut, manchmal reißerisch, knallig,
aber auch sinnlich, groß. Das Bayerische Staatsorchester spielt in der
idealen Tonspur, mächtig, nicht Dolby Surround, sondern live.
Altmodisch singt auch das Ensemble: Also es ist Oper mit gediegenen
Weltstars. Jonas Kaufmann natürlich als Chénier, der seine Stimmbänder
auskuriert hat und wieder angreift. Mehr Bariton aber war dieser Tenor nie.
Klingt alles sehr dunkel, monochrom, doch die Gefühlsausbrüche in
Spitzentönen funktionieren. Umjubelter noch Anja Harteros als Maddalena, die
alles singen kann, die Unschuld vom Lande und die lebensmisshandelte, tief
unglücklich Liebende. Feine Lyrik, selbstbewusste Gefühlstöne einer Frau,
die sich in die Seele bohren.
Das Ereignis des Abends aber war Luca
Salsi als Gérard: so kraftstrotzend, mächtig, männlich wie edel. Ein
italienischer Heldenbariton, wie man ihn lange nicht mehr gehört hat. Auch
irgendwie schön altmodisch.
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