|
|
|
|
|
Musik Heute, 13. März 2017 |
Von Cordula Dieckmann, dpa/MH |
|
Giordano: Andrea Chenier, Bayerische Staatsoper, 12. März 2017
|
"Andrea Chénier" als detailverliebtes Historienepos |
|
Schon mehrfach wollte die Bayerische Staatsoper Umberto Giordanos "Andrea
Chénier" über die Französische Revolution auf die Bühne bringen. 120 Jahre
nach der Uraufführung hat es nun geklappt. Bei der Premiere am Sonntagabend
meldete sich auch Tenor Jonas Kaufmann im Münchner Nationaltheater zurück.
In der historisierenden Inszenierung von Philipp Stölzl singt Kaufmann den
Dichter Chénier, der 1789 noch Feuer und Flamme für die Französische
Revolution ist, sich aber entsetzt abwendet, als Robespierre sein
Terrorregime errichtet. Ihm zur Seite steht die Sopranistin Anja Harteros
als Adlige Maddalena, Chéniers große Liebe, die sogar bereit ist, mit ihm zu
sterben.
Beide machten ihre Sache gut und ernteten viel Beifall. Den
größten Jubel heimste Bariton Luca Salsi ein. Mit beeindruckender
Stimmkraft, Präzision und Leidenschaft gab er Gérard, der vom Diener zum
Mitglied des Revolutionstribunals aufsteigt und aus Eifersucht eine
folgenschwere Entscheidung trifft.
Philipp Stölzl inszeniert das
Drama mit seinem beliebten Stilmittel, einem riesigen Setzkasten, und
unterteilt die Bühne in Kammern und Kämmerchen über mehrere Etagen hinweg.
Durchgängig trennt er zwischen einer Ober- und einer Unterwelt. Oben führen
anfangs die Adligen ein sorgloses Leben, während unten die Diener ein
tristes Dasein fristen und immer unzufriedener werden. Nach dem Sturm auf
die Bastille 1789 verkehren sich die Verhältnisse: Fortan haben
Revolutionäre und Jakobiner das Sagen. In den Verliesen und Katakomben
werden verwundete Soldaten gepflegt, und Adlige, Verräter und Kriminelle
sitzen hinter Gittern. So auch Chénier, weil er die Radikalisierung ablehnt.
Maddalena versucht verzweifelt, ihn vor dem Todesurteil zu bewahren, und
würde sich dafür sogar ihrem früheren Diener Gérard hingeben, damit der
seinen Einfluss geltend macht und Chénier befreit.
Stölzl schafft
Salons, Schreibstuben oder Gefängniszellen, in denen ständig alles
gleichzeitig geschieht. Das schafft Intimität, etwa wenn Gérard Maddalena
brutal auffordert, ihm zu Willen zu sein. Während ringsum die Schreiber in
den Amtsstuben sitzen, tobt in der Kammer ein Sturm der Gefühle. Mit
großartiger Stimmkraft macht Bariton Salsi die Besessenheit Gérards
deutlich, hin- und hergerissen zwischen Schwärmerei, Wut, Hass und Liebe,
bis Maddalena schließlich nachzugeben scheint. Eine Figur, die angesichts
ihrer Verwandlung fast interessanter wirkt als Chénier selbst.
In
anderen Momenten funktioniert Stölzls Setzkastentechnik weniger gut, etwa
als Kaufmann und Harteros am Ende romantisch und anrührend ihre
Verbundenheit besingen: "In unserem Tode triumphiert die Liebe". Eng
umschlungen warten sie in einer Zelle auf den Morgen, an dem sie sterben
sollen. Währenddessen ziehen oben vor der Guillotine die Revolutionsgarden
und das Volk auf, in Vorfreude auf die Hinrichtung. Die fahnenschwenkenden
Massen lenken von dem feinen, innigen Moment zwischen dem Liebespaar ab und
zerstören ihn. Das ist schade, denn Kaufmann und Harteros singen ein
wunderschönes Duett, voller Verzweiflung, Liebe und Todesangst.
Eine
Geschmacksfrage ist die historisierende Ausstattung. Stölzl nimmt es mit der
Verismo-Oper sehr genau, die auf Realismus setzt und vor hässlichen Details
nicht zurückschreckt. Er lässt die Zuschauer optisch in die Revolutionsjahre
abtauchen und unterstreicht dies mit Standbildern, zu denen die Sänger immer
wieder erstarren, so dass sie wie Werke von Historienmalern wie
Jacques-Louis David und seinem "Ballhausschwur" wirken. Auch aktuelle
politische Bezüge lässt der Opern- und Filmregisseur Stölzl außen vor.
Startenor Kaufmann hat dafür Verständnis: "Im Prinzip ist der Fakt, dass
die erste Welt immer noch auf Kosten der dritten lebt, weiterhin gegeben",
sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Aber alle Charaktere der Oper seien
historische Figuren, die in Wirklichkeit existiert hätten. "Das macht es
sehr schwierig, den historischen Kontext auszublenden, und dafür ist die
Musik auch nicht geschrieben."
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|