Puccini: Tosca, Wiener Staatsoper, 9. April 2016
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„Die Schöne und das Biest“ |
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Wenn sich an der Galerieseite entlang der Wand eine dritte Stehplatzreihe
bildet, dann ist die Wiener Staatsoper wirklich gut besucht. Angela
Gheorghiu, Jonas Kaufmann und Bryn Terfel wirkten wie ein starker Magnet,
der das Wiener Opernpublikum unwiderstehlich anzog.
Weder Tosca, noch
Cavaradossi noch Scarpia gaben Wiener Rollendebüts: Angela Gheorghiu hat die
Tosca 2013 in Wien gesungen, Bryn Terfel den Scarpia 2014, Jonas Kaufmann
den Cavaradossi 2009 – und vor sieben Jahren war der Starrummel um Kaufmann
noch nicht so groß wie heutzutage. Aber alle zusammen auf den von Puccini in
Musik gebrachten reißerischen Spuren Victorien Sardous wandelnd, das
erzeugte ein Publikumsinteresse hoch drei.
Der erste Auftritt galt
freilich dem bedauernswerten Angelotti, mit eher ungeschliffenem Organ von
Ryan Speedo Green verkörpert, ehe der Mesner in der schrulligen Version des
Alfred Sramek die Bühne betrat. Srameks Mesner ist ein Kleinod der
Charakterzeichnung. Unter Scarpias gestrengem Blick beginnt er zu stottern
in all seiner Unterwürfigkeit, beim Queren des Mittelganges bescheidet er
sich mit einem grüßenden Winken zum Hochalter statt einem zünftigen
Niederknien, in spitzbübischem Einverständnis mit dem dort thronenden
Herrgott. Die beiden kurzen roten „Balustradenschoner“, die er gleich bei
seinem Auftritt auf den Bühnenmarmor legt, sind nicht irgendein Requisit,
sondern Ausdruck der Fürsorge des Mesners. Er lässt „seiner“ Kirche die
Aufmerksamkeit eines Hausmeisters zuteil werden, der genau weiß, wer sich in
den Wohnungen des von ihm betreuten Gebäudes gerade aufhält. Aber hinter
dieser Schrulligkeit verbirgt sich die Ablehnung eines Kleinbürgers gegen
jede und jeden, der sich nicht an die Hausordnung hält. Insofern ist ihm
Cavaradossi schon deshalb verdächtig, weil er ein Künstler ist.
Dieser Maler nun war wohl ein aus dem Norden zugereister Deutscher, der im
Prunk südländischer Kathedralen mit schlaksiger Versonnenheit seiner Kunst
nachzugehen schien. Sein nachdenkliches „Recondita armonia“ ließ er
manieristisch mit einem Piano auf „sei tu“ lange ausklingen, was nach dem
strahlenden, in flüssiges Erz getauchten „Tosca“ die Wirkung der kurzen Arie
für meinen Geschmack nicht unbedingt erhöhte. Die kreative Verträumtheit des
Künstlers, der Madonna und Geliebte malt, mag zwar für ein „aushauchendes
Piano“ sprechen (notiert ist es nicht), aber dann sollte es die Wirkung
vermehren und nicht die Strahlkraft mindern. Denn Kaufmanns Piani klangen
etwas „granular“ übertüncht und waren für mich nicht das überzeugendste
Argument seiner Stimme an diesem Samstagabend. Sein baritonaler Tenor siegte
hingegen in jenen Passagen, wo er sich kraftvoll und breit über das
Orchester legen konnte, wie eine noch nicht ganz erstarrte Lavawoge, die
sich in dunkeloranger Glut in die Höhe wellt, träge und bezwingend, in
schwermütiger Leidenschaft.
Der Auftritt Toscas – Angela Gheorghiu
wieder mit Hütchen – und das folgende Zwiegespräch mit Cavaradossi litt
unter den zerdehnten Tempi aus dem Orchestergraben. Auf die haben wohl die
wenigen Buhrufe abgezielt, die Mikko Franck am Beginn des zweiten Aktes
entgegennehmen musste? Gheorghiu umgarnte ihren Geliebten, aber Kaufmann
ging nicht wirklich darauf ein, blieb etwas passiv, und sein
baritonal-gewichtiger Tenor scheint solch pointierter „Beziehungskiste“ auch
nicht gerade förderlich zu sein. Aber der erste Akt explodierte förmlich mit
dem Auftritt Scarpias: „Un tal baccano in chiesa!“ – und das neckische
Treiben der Ministranten erstarrte gleichsam zu Eis. Denn jetzt hatte der
„Leibhaftige“ in Person die Bühne betreten!
Bryn Terfels Scarpia ist
ein Charakter wie aus einem Guss, fies, durchtrieben, autoritär, er versetzt
alle nicht nur in Angst und Schrecken, er versteht die Psychologie (!)
hinter solchen Machtspielen – und Tosca ist ihm hilflos ausgeliefert. Hier
kam auch Tosca in Fahrt, die wie in einem Psychothriller von Scarpia
manipuliert wurde. Toscas Eifersuchtsausbruch wurde von diesem geschickt
geschürt, der sich daran weidete wie eine Spinne, die ihre Beute im Netz
zappeln sieht. Beim Handkuss zum Abschied Toscas vor dem Te Deum hätte er
ihr fast in die Hand gebissen. So groß war die Begierde Scarpias auf Tosca,
dass er sich kaum zu bezähmen wusste.
Terfels Bassbariton hat sich
zwar im Timbre schon etwas „abgeschliffen“, und es gibt Scarpias, deren
fülligere Stimmen den lustgierigen „Faun“ epikureischer vermitteln. Aber
Terfel bringt die Subtilität im Ausdruck mit diabolischer Durchsetzungskraft
auf den Punkt, ohne dabei wirklich „großvolumig“ zu klingen. Sein Scarpia
scheint mir im Stimmeinsatz fast ein wenig minimalistisch angelegt, nicht im
Sinne „großer Oper“ und „klassischer Rollenvorgänger“, sondern stark im
Sinne eines aus der dramatischen Aktion belebten Musiktheaters. Puristen
wird das vielleicht stören, aber die Bühnenwirkung ist enorm (und manchmal
vielleicht schon an der Grenze des „overacting“).
Höhepunkt des
Abends war der zweite Aufzug, in dem sich das Psychospielchen zwischen
Scarpia und Tosca fortsetzte und in dem Kaufmann, der darstellerisch diesem
Scarpia zu wenig entgegensetzen konnte, mit dem „Vittoria“ seine Qualitäten
bewies. Kaufmanns „Vittoria“ war imposant, der in dunkler Wehmut
ausgestoßene Schlachtruf eines schon gefallenen Helden – sozusagen ein
Siegmund, den es nach Italien verschlagen hat. Während Scarpia weiter
raffiniert ans Ziel seiner Wünsche zu kommen suchte, blieb Gheorghiu die
Rolle der leidenden Schönen, die sich vor der drohenden Vergewaltigung in
das „Vissi d’arte“ rettet. In ihrem „Vissi d’arte“ schwang noch die ganze
Aufregung mit, das ganze Herzklopfen Toscas, durch den Gesang aber auf so
zauberhafte Weise beruhigt, als spräche eine Delinquentin in
erlösungshungriger Rührung vor dem Besteigen des Galgens ihr letztes Gebet.
So gestaltete Gheorghiu diese kurzen Momente berückenden Innehaltens,
während der Terfel’sche Scarpia breitbeining und von Tosca abgewendet auf
der anderen Bühnenseite aus dem Palastfenster starrte. Aber die Strafe folgt
bekanntlich auf dem Fuß. Scarpia starb unter zwei entschlossen geführten
Messerstichen Toscas – und Gheorghiu geriet das „Abschiednehmen“ von diesem
Bösewicht ein wenig „hysterisch“ und weniger „heroisch“. Gheorghiu sang mit
gepflegtem, im Stimmeinsatz genau kalkulierten Sopran, kokett, seelenvoll,
selbstverliebt. Es war keine Tosca, deren Stimme locker das Haus füllt, aber
in Summe war die Sängerin gut zu hören – was letztlich auch für das
Orchester spricht.
Der dritte Aufzug begann mit einem wahrscheinlich
nervösen Hirten. Dann kam Jonas Kaufmanns „großer“ Auftritt und die Sterne
blitzten. Auch hier haben mich die Passagen, in denen Kaufmann die Stimme
zum Teil sehr zurückgenommen hat, weniger überzeugt – aber das Publikum war
eindeutig anderer Meinung und applaudierte so lange, bis Kaufmann lächelnd
(und fast ein wenig schicksalsergeben) einer Wiederholung zustimmte. Das
folgende Liebesduett mit Tosca litt wieder etwas unter zerdehnten Tempi.
Es folgte das fatale Ende. Die Schlussszene klappte vom Timing (wie
meist) nicht ganz perfekt. Tosca müsste während (!) des Treppehinauflaufens
den nacheilenden Schergen (deren heißen Atem sie im Nacken fühlt) ihren
Umhang so geschickt zuwerfen, dass diese sich darin verheddern und sie nicht
rechtzeitig ergreifen können. In diesem Fall war Tosca zu schnell bei der
„Absprungrampe“ angelangt, und die Verfolger mussten sich solange
einbremsen, bis Tosca den Mantel zum Wurf bereit hatte. Der Wurf gelang dann
aber ausgezeichnet. Die übrigen Mitwirkenden, Benedikt Kobel als Spoletta
und Marcus Pelz als Sciarrone, brachten ihr bewährtes subalternes
Intrigantentum ein. Mehr Weihraucheinsatz wäre außerdem dem Te Deum und dem
Staraufgebot angemessen gewesen.
Dass Mikko Franck kurz zum Zentrum
unterschiedlicher Publikumsmeinung wurde, habe ich schon erwähnt. Vielleicht
wurde es auch als Mangel empfunden, dass bei dieser „Galavorstellung“ kein
ausgewiesener Weltstar am Pult stand. Diesbezüglich hat die Staatsoper wohl
etwas fantasielos besetzt – wobei ein „Star“ noch keine tolle Vorstellung
garantiert. Das Spiel des Orchesters wirkte auf mich im Klang glatt und ein
wenig kühl und trotz gebotener Lautstärke nicht gerade leidenschaftlich.
Auch eine enge Symbiose mit der Bühne hat sich vor allem im ersten Akt noch
nicht wirklich eingestellt.
Der starke Schlussapplaus dauerte rund 17
Minuten lang. Der „Divina Angela"-Rufer war auch wieder dat. Nächsten
Samstag folgt der zweite Durchgang.
Im Übrigen: Es war laut
Programmzettel die 586. Aufführung dieser Inszenierung. Jedes Kulissenteil
dieser „Tosca“-Produktion atmet Operngeschichte. Wäre man an der Staatsoper
marketingbewusster, würde man das längst zielgruppenaffin vermarkten.
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