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Tiroler Tageszeitung, 18.05.2016 |
Von Jörn Florian Fuchs |
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Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg, Bayerische Staatsoper, 16. Mai 2016
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Meisterlich auf allen Ebenen |
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München – Schon nach wenigen Takten ahnt man es, dieser Abend wird eine
orchestrale Sternstunde. Es werden dann tatsächlich viereinviertel
Sternstunden. Kirill Petrenko hat für jede Phrase, für jedes Detail eine
Idee und bettet doch alles in einen munter rauschenden Klangfluss, der
durchaus einige Tiefen und Stromschnellen besitzt. Doch all der übliche
Blechpomp, all das Pathos und auch alles „Triumphalistische“ fällt hier
einfach weg. Stattdessen gibt es scharfes Blech, abrupt wechselnde Tempi und
hohe Lautstärke vorwiegend dann, wenn es auf der Bühne zur Sache geht – oder
eben innerhalb eines größeren Klangtableaus. Man fasst einfach nicht, was
Petrenko da aus einem sattsam bekannten Stück schon wieder an Unerhörtem
herausholt und mit welcher Transparenz und Wärme er diese „Meistersinger“
ausstaffiert.
Auch die von Sören Eckhoff einstudierten Chöre sind
eine Wucht, wie überhaupt das gesamte Sängerensemble ausnahmslos überzeugt.
Wunderbar die Wiederbegegnung mit dem verdienten Wagner-Recken Eike Wilm
Schulte als Fritz Kothner. Sara Jakubiak ist eine Eva mit Jungmädchencharme,
aber gewisser Strenge in der Stimme, was sie umso interessanter macht. Ein
Heimchen am Herd wird diese Frau in der Zukunft sicher nicht. Besondere
Aufmerksamkeit richtete sich natürlich auf Jonas Kaufmann, der die Partie
des Stolzing erstmals szenisch gab. Auch hier passierte ein mittleres
Wunder. Alles klappte ohne die bei Kaufmann einschlägigen
Anlaufschwierigkeiten, seine Stimme war sofort und bis zum alle Kräfte und
Konzentration fordernden Finale präsent.
Exzellent einmal mehr
Wolfgang Koch als Hans Sachs, dessen Mini-Energieprobleme im dritten Aufzug
kaum ins Gewicht fallen. So wird man musikalisch überaus glücklich. Und
szenisch? David Bösch erklärte im Vorfeld, er wolle keine politischen
„Meistersinger“ bieten. Tatsächlich erzählt Bösch die Geschichte klar und
direkt, er verlegt die Handlung in die 1960er- oder 70er-Jahre. In einer
Hinterhofsiedlung mit grauen Mietskasernen feiert ein traditionsbewusster
Singverein, gesponsert vom offenbar sehr beliebten Meistersinger-Bräu. Die
Personenführung ist überaus sympathisch und emphatisch. Sachs repariert
seine Schuhe in einem kleinen Werkstattbus, statt der anfänglichen Szene in
der Kirche gibt es eine katholische Prozession, hier kommen sich Stolzing
und Eva auf charmante Weise näher. Zur Prügelfuge erscheinen Schlägertrupps,
sie verschleppen den als Polizist auftretenden Nachtwächter und prügeln
Beckmesser rollstuhlreif. Ganz so idyllisch ist die Chose also nicht. Den
schwierigen, weil nationalistischen, Monolog von Sachs konterkariert die
Regie durch ein die gesamte Bühne umfassendes weißes Rauschen per Video.
Überhaupt verrutscht hier einiges. Sachs warnt vor fremden kulturellen
Einflüssen, worauf Eva und Stolzing die Flucht ergreifen, Beckmesser erst
Sachs erschießen will und sich dann selbst richtet. Das mag zwar ein
bisschen überzogen wirken, konsequent ist es dennoch.
Beim Publikum
sorgte Böschs Lesart für eine Mischung aus Unmut und Jubel. Mag sein, dass
manches doch zu grau und trist wirkt, doch die Gesamtatmosphäre stimmt und
der Magier am Pult zaubert ja mit umso mehr Farben.
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