der Standard, 2. Juni 2016
Stefan Ender
 
Liederabend, Wiener Staatsoper, 1. Juni 2016
Barrierefrei zum Ausnahmeniveau
 
Jonas Kaufmann und Helmut Deutsch in der Staatsoper
 
Was so ein unscheinbares Ding doch bewirken kann: der Notenständer – er stellt nicht nur eine kleine materielle Barriere dar zwischen Künstler und Publikum, die auf ihm platzierten Noten binden auch einen Teil der Aufmerksamkeit des Künstlers und verhindern so, dass dessen Sinnen und Fühlen ganz den präsentierten Werken und dessen Singen und Erzählen ganz den Zuhörern gilt. Und so war der Liederabend von Jonas Kaufmann und Helmut Deutsch in der Wiener Staatsoper in zwei ungleiche Teile aufgeteilt: jenen des offiziellen Programms, den der deutsche Tenor mit dem baritonalen Timbre mit Unterstützung des Notenmaterials vortrug, und jenen der sechs Zugaben, die er auswendig und wie befreit sang. Der offizielle Teil gelang tadellos. Spätromantische und gemäßigt moderne Liedliteratur stand auf dem Programm des – nach 2012 zweiten – Solistenkonzerts von Kaufmann hier: Gustav Mahlers Lieder eines fahrenden Gesellen, Benjamin Brittens 7 Sonnets of Michelangelo, die Neun Lieder aus Letzte Blätter op. 10 von Richard Strauss sowie einige ausgewählte Lieder des Letzteren. Die zu Beginn noch etwas weite klangliche Kluft zwischen Kaufmanns sprödem, staubigem Falsett und seiner kernigen Heldentenorkraft sollte sich im Lauf des Konzerts vermindern. Berührend die Zartheit in Strauss' Die Nacht oder in der Freundlichen Vision, belustigend die Komik in Die Verschwiegenen; bei Brittens letztem Michelangelo-Sonett Spirito ben nato packte der Opernstar kurz den Cavaradossi aus.

Doch mit den sechs Zugaben von Richard Strauss eröffneten Kaufmann und auch Deutsch neue Welten und hievten den Abend auf ein Ausnahmeniveau. Bei Ich trage meine Minne in mir blühten der Günstling der Operngötter und sein väterlicher Freund am Klavier förmlich auf, ansteckend der Schalk am Ende von Ach weh mir unglückhaftem Mann. Wundervoll die Intimität des Nachtgangs, überschäumend die Heimliche Aufforderung. Alle Zeit stand still am Ende des Zugaben-Musts Morgen, den letzten Elan mobilisierten die Zwei für Cäcilie. Lautstarke Begeisterung nach zweieinhalb Stunden.





 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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