Augsburger Allgemeine, 6. August 2015
RÜDIGER HEINZE
 
Beethoven: Fidelio, Salzburger Festspiele, 4. August 2015
Im Gefängnis der Gedanken
 
Salzburger Festspiele Im „Fidelio" singt Jonas Kaufmann wieder mal herausragend. Dagegen kann die Inszenierung nicht so richtig überzeugen — auch wenn sie auf Taubstummensprache setzt
 
„Fidelio", das Schmerzenskind. Beethoven arbeitete sich an seiner eminenten Rettungs- und Befreiungsoper um einen Häftling politischer Willkür ab — und bis heute verschafft das Stück peinliche Momente, wenn Sänger in hohem Sprechton die pathosgefüllten Dialoge zwischen den geniegesättigten Musiknummern zu sprechen haben. „Abscheulicher, wo eilst du hin, was hast du vor in wildem Grimme?" —als Rezitativ der Polithäftlingsbefreierin Leonore mag so eine Frage gerade noch knapp durchgehen. Rein gesprochen wäre sie heute, wie manches Gesprochene in diesem Libretto, unfreiwillig komisch. Obwohl diese Oper noch 200 Jahre nach ihrer letztgültigen Wiener Fassung für weite Teile der Welt einen sprengkräftig-humanen Appellcharakter in sich trägt.

Eine radikale Aufführungsfassung ist nun bei den Salzburger Festspielen zu erleben. Sich auch auf eine Notiz Beethovens berufend ( „Den Text nach Gefallen abzuändern und zu verkürzen"), wird „Fidelio" als unreine Abfolge seiner Musiknummern, also ohne Dialoge gespielt.

Warum unrein? Weil denn doch zwischen die Arien, Duette, Ensembles einige Klänge zwischengeschaltet sind, die Beethoven weder so noch anders komponierte. Es sind düster-dräuende elektronische Suspense-Sounds, auch mal ein Ticken, schweres Atmen, Sturmbrausen, wie sie so oder so ähnlich auch der Film unterlegt, Abteilungen Krimi, SF und Fantasy. Wenn dies auch für den, der das Werk intus hat, wenig schadet, so bringt es doch dem nichts, der es nicht kennt.

Ähnlich verhält es sich mit weiteren Bühnenspielsetzungen des Regisseurs Claus Guth, der momentan gewiss zu den klugen, analytisch scharfen, handwerklich gereiften im Opernbetrieb gehört. Hier aber, im Großen Festspielhaus, wirken seine Gedanken zu „Fidelio" bühnenpraktisch nicht annähernd so zwingend, wie er sie theoretisch im Programmheft darlegt. Guth weitet das Kerkerdasein Florestans auf ein Insich-gefangen-Sein aller Protagonisten aus, die sich beobachtend ständig umkreisen. Das funktioniert auch mittels dramatischen Schattenwurfs in einem raumgreifenden Saalwinkel mit hohen, weißen, klassizistischen Wänden hinlänglich. Was aber nicht so recht funktioniert, vielmehr umständlich und unbeholfen wirkt, ist ein mächtiger schwarzer Kubus, der sich in diesem Saalwinkel senkt, dreht, hebt. Sicher, sein Kreisen bereitet Auftritte, Szenenwechsel vor. Eventuell kann man ihn auch als eine utopieraubende Wand deuten, die sich dem einen oder anderen in den Weg dreht. Doch vor allem bleibt sie ein monumentaler Fremdkörper von magersten Erkenntnisgewinn (Bühne: Christian Schmidt).

Ein Drittes kommt hinzu: Claus Guth spaltet sowohl die Titelrolle in zwei Personen auf wie auch den Gouverneur Pizarro. Im ersten Fall hat das zumindest Interpretationsgewinn. Denn die weibliche Leonore „souffliert" dem verkleideten männlichen Fidelio mittels (echter) Taubstummensprache sozusagen den Treibstoff des Stücks: Intuition, Herz, Mitleid, rettende Gattenliebe der Frau. Und eine produktive Provokation ist es, wenn diese gestikulierende Leonore (Nadia Kichler) dem Echtschmuck-Publikum den hymnischen Befreiungs- und Brüderiichkeitsjubel auch in der Sprache für Taube ans Herz legt. Aber leider gilt ebenso: Optisch bringt Leonores häufig wildes Gestikulieren zuviel Unruhe und Ablenkung ins Spiel. Trotz hohem, sympathischem Anspruch, trotz plausibler Ansätze. In der Praxis wird auch Claus Guth der „Fidelio"-Probleme nicht wirklich Herr. Deutliche Ablehnung des Produktionsteams denn auch durch das Publikum.

Wesentliches, Dringliches gelingt gleichwohl: Beethovens Geist, Beethovens Bekenntnismusik in klingend suggestive Form zu bringen. Ja, die Leonoren-Ouvertüre III, nach guter alter Wiener Tradition vor das Finale platziert, wird mit Feuer und Flamme geradezu zum Herzstück dieser. Neuinszenierung, vom Publikum als herausragende Leistung der Wiener Philharmoniker unter Franz Welser-Möst so heftig akklamiert wie kein einzelner Künstler zum Schlussapplaus. Insgesamt faszinierte, wie Welser-Möst atmend neue Tempi aus vorausgegangenen entwickelte und Schlüsselszenen der Partitur dezidiert in Front brachte — wie eben die dritte Leonoren-Ouvertüre, wie das schwebend ausgeführte „Mir ist so wunderbar"-Quartett, wie das Schlussensemble.

Die vokale Überraschung des Abends: Dass die sängerische Präsenz der Olga Bezsmertna (Marzelline) mitunter größer war als die von Adrianne Pieczonka als etwas neutralem Fidelio. Jonas Kaufmann, dem die Rolle eines traumatisierten, kerkerkonditionierten, letztlich wohl sterbend zusammenbrechenden Florestan entwickelt wurde: tenorale Emphase im Höchstmaß —plus Textverständlichkeit! Einen so kantablen wie resonanzvollen Rocco sang Hans-Peter König; zuverlässige Qualität offerierten Norbert Ernst (Jaquino) und Tomasz Konieczny als Pizarro. „Fidelio" bleibt ein Schmerzenskind — mit bestürzender Musik.

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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