Kleine Zeitung, 06.08.2015
Von Ernst Naredi-Rainer
 
Beethoven: Fidelio, Salzburger Festspiele, 4. August 2015
 
Salzburgs "Fidelio" erhitzt die Gemüter
 
Auf empörte Ablehnung stieß die radikalste Operninszenierung dieses Salzburger Festspielsommers, Claus Guths "Fidelio"-Deutung, in der nicht nur auf jegliches Happy End verzichtet wird.
 
Weder der an die Befreiungsoper noch an den Hymnus auf die Gattenliebe vermag Claus Guth zu glauben. Als dritte und letzte Opernneuinszenierung dieses Salzburger Festspielsommers zeigt er Ludwig van Beethovens „Fidelio“ als ein Ideendrama, dem er das Happy End verweigert. Das Premierenpublikum mit der bisher größten Promi-Dichte reagierte mit äußerst heftiger Ablehnung.

Erstmals im Großen Festspielhaus arbeitend, führte der 51-jährige deutsche Regisseur in seiner siebenten Salzburger Inszenierung drastisch vor Augen, dass die Werte Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit auch heute noch eine uneinlösbare Utopie darstellen. Im Finale muss der souveräne Wiener Staatsopernchor seinen Jubel über die Befreiung im Off anstimmen. Claus Guth bezweifelt auch den von Beethoven musikalisch beglaubigten Sieg der Gattenliebe: Der schwer traumatisierte Florestan bricht tot zusammen.
Keine Dialoge

Guth streicht außerdem alle Dialoge – die nicht auf der Höhe von Beethovens Musik stehen und wegen der Gesangstexte ohnehin weitgehend redundant sind. Das hat in Salzburg auch schon Nikolaus Lehnhoff in seiner Inszenierung für die Osterfestspiele 2003 getan. Neu ist jetzt aber, dass sie durch kurze Klanginstallationen – Elektronik, Atemgeräusche und Wortfetzen des Warnbriefs, den Pizarro liest – ersetzt werden, die sich als Puffer zwischen die Musiknummern schieben.
Christian Schmidt hat als Einheitsbühnenbild einen hohen, kahlen, weißen Raum entworfen, in den sich ein schwarzer Kubus senkt, der als Symbol der Undurchdringlichkeit fungiert, aber auch andeutet, dass der Regisseur alle Protagonisten als „Gefangene ihrer selbst gebauten Gefängnisse“ sieht, aus denen sie sich nicht befreien können.
Double im Einsatz

Claus Guth verweigert jeden Naturalismus. Das ist durchaus vertretbar, denn die Figuren sind letztlich nur Ideenträger, entwickeln sich, abgesehen von Rocco, im Lauf der beiden Akte überhaupt nicht. Der Regisseur spaltet deshalb die beiden Antagonisten, stattet sie mit einem Double aus, um sie in Begleitung ihres Unterbewusstseins erscheinen zu lassen. Der als Mann unter dem Namen Fidelio auftretenden Leonore steht als weiblicher Schatten die gehörlose Gebärdendarstellerin Nadia Kichler zur Seite, deren Einsatz auch auf Beethovens Ertaubung anspielt. Pizarro erhält als Alter Ego den Tänzer Paul Lorenger.
Differenzierte Dynamik

Den Buhchören gegen die Regie stand besonders freundlicher Beifall für die Musik gegenüber. Demonstrativen Applaus erntete Franz Welser-Möst für seine schlanke, energiegeladene Lesart, bei der er mit den Wiener Philharmonikern Beethovens keineswegs immer laute Dynamik sorgfältig differenzierte.

Auf der Bühne blieb der in Bestform singende Ausnahmetenor Jonas Kaufmann, der als Florestan schon mit seinem ersten, lange anschwellenden G faszinierte, eine Klasse für sich. Adrianne Pieczonka kehrte mit ihrem Zwischenfachsopran die lyrischen Seiten der Leonore hervor.

Mit dunkler Wut sang Tomasz Konieczny den Pizarro, nur solide gestalteten Olga Bezsmertna als Marzelline und Norbert Ernst als Jaquino ihre Partien. Sebastian Holecek als blasser Don Fernando und Hans-Peter König als wenig profunder Rocco erreichten kein Festspielniveau.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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