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ORF News
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Sophia Felbermair, ORF.at |
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Beethoven: Fidelio, Salzburger Festspiele, 4. August 2015
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Dunkle Schatten über „Fidelio“ |
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Die letzte Opernpremiere des Salzburger Festspielsommers hat das Publikum am
Dienstag vor eine schwierige Deutungsaufgabe gestellt. Ein Freud’scher
Zugriff auf „Fidelio“ offenbarte Verstörendes, ließ gleichzeitig im Spiel
mit Licht und Schatten aber vieles im Dunkeln - für manchen zu viel: Was zu
einem musikalischen Triumph wurde, bescherte Regisseur Claus Guth einen
Sturm des Missfallens.
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit: Die
Prinzipien, die Ludwig van Beethoven in seiner Rettungs- und Befreiungsoper
„Fidelio“ zum Ausdruck bringen wollte interpretierte Guth weniger politisch
als psychoanalytisch. Eingesperrt ist für ihn nicht nur Florestan, dessen
Frau Leonore auf der Suche nach ihm zu Fidelio geworden ist.
Auch
alle anderen Figuren sind hoffnungslos ge- und befangen: Kerkermeister Rokko
genauso wie seine Tochter Marzelline, die sich in Fidelio verliebt und ihm
so den Weg in Florestans Verlies ebnet, der verschmähte Verlobte Jaquino und
mehr als alle anderen noch Bösewicht Don Pizarro. Absage an die Dialoge
„Macht mit dem Text, was ihr wollt“ schrieb Ludwig van Beethoven in
einem Brief anlässlich einer Aufführung „Fidelios“ in Prag. Guth wollte mit
den Dialogen, die er als „extrem banal“ bezeichnete, gar nichts machen,
sondern sie primär weg haben und strich - mit dem Einverständnis des
Musikalischen Leiters Franz Welser-Möst - die Rezitative. Er hätte sich
ohnehin schon bei genügend Aufführungen während der Texte „am liebsten die
Ohren zugehalten,“ so Welser-Möst.
Zwischen den Gesangsnummern setzte
Guth stattdessen atmosphärische Klangarrangements vom Band ein -
Donnergrollen, lautes Atmen, einen tobenden Sturm - und verdichtete damit
die unbestimmt-bedrohliche Dynamik, die sein Abend bekommen sollte. Mehr
als 50 Grauschattierungen
Optisch präsentiert sich die Isolation
durchwegs stimmig elegant und ganz in der Guth längst zur Handschrift
gewordenen reduzierten Schwarz-Weiß-Grau-Ästhetik. Statt klassischer
Kerkermauern hat Ausstatter Christian Schmidt dafür einen geschlossenen Raum
aus überdimensionalen Kassettenvertäfelungen erdacht, die Versinnbildlichung
von Freuds „Salon des Unterbewussten“, wie es im Programmheft heißt.
Mitten darin ist ein schwarzer Kubus, der später düster über Florestan
schweben wird - und sich gleichzeitig als praktisches Utensil für versteckte
Auf- und Abgänge erweist. Florestan, dessen Auftritt ja erst im zweiten Akt
vorgesehen ist, lässt sich via Riesenprojektion auch das eine oder andere
Mal schon vorher blicken und bleibt nicht die einzige Geistererscheinung des
Abends.
Alle haben einen Schatten
Minimalistisch und auf das Nötigste reduziert sind die Interaktionen
zwischen den Charakteren gesetzt, was nur konsequent ist, bedenkt man wieder
die Prämisse, dass alle in sich selbst gefangen und mit sich selbst
beschäftigt sind. Das Selbst ist manchmal dabei auch sehr gespalten: Die als
Fidelio verkleidete Leonore wird von einem stummen Spiegelbild begleitet -
einer Gebärdendarstellerin (Nadia Kichler), die das Seelenleben der nach
außen hin so starken Frau verdeutlichen soll (und sich wohl auch als
Anspielung auf Beethovens Taubheit lesen lässt). Auch Pizarro hat so ein
Über-Ich - stellenweise auch mehrere -, und allen Figuren gemeinsam sind die
Schatten, die sie verfolgen und die an den Wänden manchmal ein Eigenleben zu
entwickeln scheinen.
Jonas Kaufmann als traumatisiertes Opfer
Die szenische Reduktion auf ein Minimum stieß bei (lauten) Teilen des
Premierenpublikums auf wenig Gegenliebe - anders als die musikalische
Ausgestaltung, die mit großem Jubel ausgiebig gefeiert wurde. Die kanadische
Sopranistin Adrianne Pieczonka lief in der Hosenrolle als Leonore/Fidelio
vor allem in den ruhigeren, zarten Passagen zur großen Form auf.
Durchwegs zu begeistern wusste der Star des Abends, Jonas Kaufmann, als
Florestan. Nicht nur stimmlich brillierte der Startenor in seiner
mittlerweile routinierten Paraderolle - auch schauspielerisch ging er voll
in der Inszenierung auf, die den Gefangenen als traumatisiertes Wrack
charakterisierte.
Olga Beszmertna gab als Marzelline ein gelungenes
Rollendebüt, Hans-Peter König als souveräner Vater und Gefängniswärter Rocco
mit Winston-Churchill-Schatten. Wenig missen ließen aber auch Tomasz
Konieczny (Don Pizarro), Norbert Ernst (Jaquino) und Sebastian Holecek als
der rettende Deus-ex-Machina-Minister.
Leonore ist zu spät
gekommen
Welser-Möst, präzise am Punkt, lieferte mit den
Philharmonikern eine glänzende Interpretation der Oper und erntete dafür
wenig überraschend schon allein mit der als Zwischenspiel im zweiten Akt
eingesetzten Leonoren-Ouvertüre Nr. 3 frenetischen Zwischenapplaus. Auch der
große Jubelgesang im Finale eskalierte plangemäß - durch die
Gebärdenübersetzung sogar überdeutlich. Beethovens „lieto fine“ ist
(szenisch) trotzdem abgesagt: Rettung und Befreiung bleiben in der
Inszenierung eine Utopie - Florestan ist ein gebrochener Mann, der hier
nicht überleben wird. Leonore ist zu spät gekommen. |
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