Giordano: Andrea Chenier, London, Royal Opera House, 29. Januar 2015
LONDON/ Dresden UFA-Kristallpalast / Das ROH im Kino: ANDREA CHENIER
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Live aus dem Royal Opera House London im UFA Kristallpalast Dresden:
“ANDREA CHÉNIER” MIT JONAS KAUFMANN, EVA-MARIA WESTBROEK UND ZELJKO LUCIC -
29.1. 2015 |
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Als erste Live-Opern-Übertragung des neuen Jahres aus dem Royal Opera House
London in HD-Qualität und glasklarem 5.1 Surround-Sound brachte der UFA
Kristallpalast in Dresden, wo die Besucher stets freundlich empfangen
werden, Umberto Giordanos Historisches Drama „Andrea Chénier“ mit großen
Sänger-Namen, die viel verhießen und noch mehr hielten. Die für ihre
anspruchsvollen Hauptpartien bekannte Oper besticht durch große
Verismo-Bögen, die die drei Protagonisten perfekt beherrschten. Man musste
nach deren großen Arien an sich halten, um nicht in den enthusiastischen
Applaus der Live-Besucher im Royal Opera House mit einzustimmen.
Drei
große Namen, Jonas Kaufmann, Eva-Maria Westbroek und Zeljko Lucic, die für
Qualität bürgen, machten ihrem guten Ruf alle Ehre. Sie verliehen den
Operngestalten nicht nur Leben und Glaubwürdigkeit, sondern ihre selten
schönen Stimmen in makelloser Gesangskultur. Es war Operngesang der
Superlative, technisch perfekt, mit ausgezeichneter Artikulation,
großartiger Charakterisierungskunst und – ob nun aktuell oder „out“ – mit
“Seele” und Wahrhaftigkeit. Jeder der drei Protagonisten gestaltete seine
Rolle auf seine ganz persönliche Weise auf höchstem Niveau.
Man kennt
Jonas Kaufmann als perfekten Sänger mit der schönen Stimme in großen
Opernpartien, hier übertraf er einmal mehr sich selbst. Schon allein seine
äußere Erscheinung prädestinierte ihn für die Rolle des Dichters Andrea
Chénier, eines “romantischen Revolutionärs”, der unschuldig, durch die
äußeren Zwänge der Zeit scheitert. Erst recht machten ihn aber sein Können
als Sänger und seine Darstellungskunst zum „Star“ des Abends. Da blieb kein
Wunsch offen.
Eva-Maria Westbroek verkörperte sehr feinfühlig die
Rolle der Maddalena. Ihre ausgezeichnete Stimmtechnik gestattete ihr eine
sehr sensible Gestaltung. Weich und seelenvoll modellierte sie die Töne in
den verschiedensten Seelenzuständen der empfindsamen jungen Frau. Zusammen
mit Jonas Kaufmann „durchlebte“ sie alle Höhen und Tiefen ihrer tragischen
und zutiefst berührenden Liebe vor dem Hintergrund von Bedrohung und Grauen.
Željko Lučić zog alle Register seines sängerischen und gestalterischen
Könnens in der Gestalt des Dieners Carlo Gérard, der die Befreiung der
Unterdrückten will und letztendlich dem Bösen zum Durchbruch verhilft. Ohne
Brüche, in „fließenden Übergängen“ ließ er Abgründe und Widerstreit einer
menschlichen Seele in ihrem Zwiespalt erkennen, hin und hergerissen zwischen
einem neuen Machtgefühl, das ihm die Revolution gab, Zorn, weil ihn
Maddalena in seinem heißen Begehren brüsk zurückweist, bitterstem Neid und
Rachegedanken gegen seinen Rivalen und Widersacher Chenier, der ihn im
Zweikampf zu Boden streckte, aber auch Gewissenskonflikte und menschliches
Mitempfinden für Maddalenas seelische Qualen. Schon seine Mimik ließ die
ganze Palette menschlicher Empfindungen und Gedanken miterleben von der
dunkelsten Seite bis zum persönlichen Verzicht aus Liebe und
Mitmenschlichkeit. Mit seiner weichen, modulationsreichen Stimme verfügt er
über eine große Skala von Ausdrucksmöglichkeiten, die er überwältigend zur
Gestaltung seiner Rolle einsetzte.
Unter diesem Eindruck großer, in
allen Details perfekt gesungener, Opernarien und großartigen
Darstellungskunst sollte man aber auch nicht die Leistungen in den etwas
kleineren Rollen übersehen. Denyce Graves beeindruckte als Bersi, Dienerin
und Gefährtin Maddalenas, ebenfalls mit ihrer ausgezeichneten
Gesangsleistung, und Rosalinde Plowright bot eine beeindruckende
Charakterstudie überlebter Aristokratie. Die schon etwas ältere Elena Zilio
bot als alte Madlon, die ihren noch unmündigen Enkel, ihren einzigen Halt,
für das Militär opfern will, beides, eine erstaunliche Gesangsleistung und
ein so perfektes, überzeugendes Spiel, dass man ihr die Blindheit und
patriotische Naivität unbedingt glauben musste, auch wenn so viel
übertriebener Enthusiasmus uns heute unverständlich erscheinen mag.
Die Geschichte um Liebe, Leiden und Verlust vor dem Hintergrund der
Französischen Revolution (1789 bis 1799) brachte der schottische Regisseur
David McVicar nach 30 Jahren in einer bewundernswerten Neuproduktion wieder
nach Covent Garden. Zu bewundern ist nicht zuletzt sein Mut zu einer
historisch exakt orientierten Inszenierung mit realistisch bis
naturalistisch gestalteten Details, selbst „am Rande“ des Geschehens, und
das in einer Zeit, in der noch immer das experimentelle Regietheater – oft
mehr als epigonenhaft – an anderen Opernhäusern vorherrscht. Einige
gegenwärtig beliebte Inszenierungs-Details „mischen“ auch diese Produktion
in einer gekonnten Kombination von alt und neu an den passenden Stellen
gegenwartsnah auf, u. a. das distinguierte, leicht übertriebene Verhalten
der adelsstolzen Gräfin di Coigny mit ihrer gespielten, falschen
Freundlichkeit, das ästhetische “Liebesspiel” der stilgerechten,
rokokohaften Tanzvorführung beim Adels-Fest oder das Verhalten des
„befreiten“ und verarmten Volkes in seiner Verblendung, die Dirnen, Lauscher
und Denunzianten und die sensationslüsternen „Durchschnittsmenschen“, die
sich zur Verkündung der Todesurteile im „Gerichtssaal“ einfinden. McVicar
“leistet” sich für jeden Akt ein eigenes, ausgesprochen stimmiges,
Bühnenbild, um das Geschehen auf der Bühne zu unterstreichen, und lässt die
Vorgänge der Handlung „unter die Haut“ gehen. Da können moderne abstrakte
Inszenierungen mit ihren symbolhaften “Beziehungskisten” kaum mithalten.
Er hat den Mut, die Oper wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen, denn
das ewig experimentelle, kopfstehende, mitunter absurde Regietheater ermüdet
nun langsam endgültig. Es hat sich überlebt. McVicar beschreitet neue Wege,
angelehnt an bewährte Methoden und Erfahrungen. Er gestaltet die Oper neu,
nicht aus Widerspruch an die Tradition, sondern auf dem Hintergrund heutiger
geschichtswissenschaftlicher Erkenntnisse, und entwickelt die Tradition
sinnvoll weiter. Seine Inszenierung macht betroffen und regt zu Gedanken
über Macht und Gewalt und deren unmenschliche Folgen an.
Die
unbedingt ansprechenden Bühnenbilder von Robert Jones führen die Zustände im
Paris des späten 18. Jh., in der Zeit vor und nach der Französischen
Revolution, sehr plastisch vor Augen. Der 1. Akt führt in einen luxuriös
eingerichteten Salon mit allen typischen Erscheinungsformen einer
„abgehobenen“ Gesellschaftsschicht, die zunächst kaum etwas von den
Umbrüchen der Zeit wahrnimmt, nicht um Glanz und Pomp wieder aufleben zu
lassen, sondern um den starken Kontrast zur späteren Situation von Maddalena
und Gérard herauszuarbeiten. In den nachfolgenden Bildern sind oft durch die
Öffnungen der Räume im Hintergrund andeutungsweise typische Pariser Häuser
zu sehen, die nicht nur das Bühnenbild bereichern, sondern immer bewusst
oder unbewusst den eigentlichen Ort der Handlung assoziieren.
Die
„historisch“ getreuen Kostüme im Stil der Französischen Revolution schuf
Jenny Tiramani nach historischen Vorbildern und mit Fantasie. Sie verstand
es, für jede(n) Sänger-Darsteller(in) das richtige Kostüm (auch entsprechend
mancher Problemfigur) in wirkungsvoller Form und Farbe zu finden. Damit
unterstrich sie in – auch zwischen den einzelnen Kostümen – perfekt
abgestimmter, bühnenwirksamer Farbgebung Handlungsort und Situation. Für den
1. Akt wählte sie „königliche“ Farben, um den „erlesenen“ Geschmack der
abgehobenen Gesellschaft zu verdeutlichen, in den folgenden Akten grellere,
mit denen das aufbegehrende Volk sein neues Selbstbewusstsein dokumentieren
wollte, vor allem mit einem kräftigen blau-weiß-rot, den Farben der
Trikolore.
Dank der Direktübertragung war es möglich, den
Musikdirektor des Royal Opera Houses und Spezialisten für das italienische
Fach, Antonio Pappano “live” zu erleben. In Vorspann und Pause plauderte er
sympathisch über manches ausführungstechnische Detail der Musik und startete
die Aufführung vom Orchestergraben aus mit viel sichtbarem Schwung. Mit
Sachkenntnis, Enthusiasmus und Einfühlungsvermögen führte er das Orchestra
of the Royal Opera House durch die vieraktige Oper, in der Sänger und
Orchester zu einer Einheit verschmolzen. Der Royal Opera Chorus war bei
Renato Balsadonna in guten Händen.
In einer solch gekonnten
Inszenierung, die ohne “Umdenken” Charaktere und Geschehnisse einer
bestimmten Epoche und deren Widerspiegelung in den Seelenzuständen der
Menschen nacherlebbar macht und in der auch die „Nebenrollen“ mit typischen
„Vertretern“ und guten Sängern besetzt waren, waren Operngestalten “von
Fleisch und Blut” auf der Bühne. Da konnte sich das ausgezeichnete
Protagonisten-Trio voll entfalten. Hier stimmte jedes Detail im
Gesamtgefüge. Jede Bevölkerungsschicht kam in ihrer spezifischen
Verhaltensweise “zu Wort”. So (nur) kann Oper wirklich überleben! |
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