Klassikinfo
Von Christian Gohlke
 
Puccini: Manon Lescaut, Bayerische Staatsoper, München, 15.11.2014
 
Trüffel à la Neuenfels
 
Hans Neuenfels inszeniert Giacomo Puccinis „Manon Lescaut“ ohne Anna Netrebko und ohne Aufsehen zu erregen an der Bayerischen Staatsoper
 
Hans Neuenfels weiß, wonach wir uns alle sehnen: große Gefühle, brennende Leidenschaft, tiefe Liebe, kurzum: nach dem, was die Oper des 19. Jahrhunderts in viel reicherem Maße bietet als die Wirklichkeit. Darum lieben wir sie ja, diese Kunstform, und darum wollen wir die vielen Liebestode, die auf der Opernbühne gestorben werden, immer wieder sehen. „Wir suchen die Tragödie wie Schweine die Trüffel.“ So lautet einer der auf die schwarze Bühnenwand projizierten Sätze, mit denen Neuenfels seine Münchner Inszenierung von Puccinis „Manon Lescaut“ kommentiert.

Nach dem Tumult vor der Premiere – zunächst wurde eine geplante Einführungsmatinee abgesagt, dann trat Anna Netrebko von ihrem Engagement zurück, und Neuenfels sah sich in einem „Spiegel“-Interview zu giftigen Bemerkungen nicht nur über die Sopranistin selbst, sondern über die russische Lebensart im allgemeinen veranlasst –, nach all dieser vorausgegangenen Aufregung lag die Vermutung nahe, der Regisseur werde dem Publikum seinen Geschmack an Puccinis Opern-Trüffel gründlich verderben, ihm sozusagen skandalträchtig in die Suppe spucken und die ergreifende Geschichte zwischen Manon und ihrem Liebhaber Des Grieux nach allen Regeln der Regietheaterkunst dekonstruieren. Doch, und das war vielleicht das überraschendste an dieser mit so viel Spannung erwarteten Neuinszenierung, genau das tat Hans Neuenfels nicht. Vielmehr wählte er eine geradezu naturalistische Erzählweise, um die Liebes- und Leidensgeschichte von Renato Des Grieux und Manon Lescaut darzustellen. Deren Umfeld indes stilisierte Neuenfels, indem er es grotesk überzeichnete.

Der Chor, der unter Sören Eckhoffs Einstudierung klangschön und kraftvoll singt, ist im ersten Akt nichts als eine uniforme amüsierwillige Masse mit flammend rotem Haar und breitem Hinterteil, die sich von Edmondo (Dean Power) unterhalten lässt, der hier einem Zirkusdirektor ähnelt. Lescaut, ein schmieriger Spielmacher und unguter Gesell, den Markus Eiche mit geschmeidigem, kraftvollem Bariton singt, kommt mit fransigem Haar und bodenlangem schwarzem Mantel daher. Ulrich Reß wird als Maestro di ballo gleich als dressierter Affe im Frack vorgeführt, der die haarigen Beine unbedeckt lässt. Als Menschen, umgeben von Larven, so erscheinen in diesem Umfeld die beiden Liebenden. Darum bekommen auch nur sie von Andrea Schmidt-Futterer Kostüme, die, auf drastische Verfremdungseffekte verzichten.

Neuenfels nimmt Manon und Des Grieux als Liebespaar ernst. Er zeigt, wie Renato unter Manons Wankelmut leidet, wenn die sich nicht vom Luxus lösen kann, der sie bei Geronte (Roland Bracht) umgibt, und er erzählt ohne ironische Brechung davon, wie sie, in seine Arme gesunken, schließlich in der amerikanischen Wüste stirbt. Die Wüste, das ist im Bühnenbild Stefan Mayers ein schwarzer, von Neonlicht hässlich erleuchteter Raum. Karg, kühl, nüchtern ist nicht nur die Ausstattung des vierten Aktes, sondern die der ganzen Produktion.

„Großer Platz in der französischen Provinz. Irgendwann.“ So ist zu Beginn des 1. Aktes zu lesen. Doch Neuenfels‘ Inszenierung spielt nicht nur „irgendwann“, sondern auch „irgendwo“, und so sehr diese abstrakte Zeit- und Raumlosigkeit die Inszenierung vor einfältiger Aktualisierung schützt, so wenig trägt sie dazu bei, der Geschichte Farbe und atmosphärische Dichte zu verleihen. Wie die Protagonisten überhaupt von einem Ort zum anderen gelangen, und was sich in den Szenen ereignet (Puccinis vier Akte sind ja ohne Übergänge nur lose aneinandergereiht), erklärt Neuenfels mit Texten, die vor dem zweiten, dritten und vierten Akt eingeblendet werden. Diese inneren Monologe – zweimal spricht Des Grieux, einmal meldet sich Manon zu Wort – sind überflüssig und erinnern in ihrer Unbedarftheit an Schreibübungen beflissener Gymnasiasten: „Jetzt muss ich reden, ich, Manon!“

So sind es am Ende die beiden Hauptfiguren, auf die sich alles konzentriert. Kristine Opolais‘ Stimme würde man ein stabileres Tiefenfundament wünschen, auch ist ihr vibratoreiches Timbre sicherlich nicht jedermanns Geschmack, aber sie gibt sich so vorbehaltlos dieser Partie hin, spielt und singt mit einer solchen Hingabe, dass sie in der Rolle schließlich doch überzeugt. Lyrische Wärme ist ihre Sache nicht, doch mit welcher Eindringlichkeit sie ihren Lebenshunger äußert („Ah, non voglio morir!“), ist bezwingend. Die dramatischen Szenen des vierten Aktes gelingen ihr am besten. Mit Jonas Kaufmann hatte sie dafür einen idealen Partner. Man wird derzeit kaum einen besseren Des Grieux finden können. Seine tiefe, virile Stimme, mehr Bariton als Tenor, aber eben zu glanzvollen Höhen befähigt, passt ausgezeichnet zu dieser Partie. Dem etwas gaumigen Klang, unter dem bisweilen seine Mittellage litt, scheint er Herr geworden zu sein; jedenfalls hat am Premierenabend nichts die Freude an dieser herrlichen Tenorstimme getrübt. Auch Kaufmann verausgabt sich schonungslos und singt den Des Grieux mit großer Intensität und einem Farbenreichtum, der es ihm ermöglicht, die von Puccini geforderten Nuancen zu gestalten: „affettuosamente“ (voller Liebe) wird da als Ausdruck verlangt oder „con spasimo“ (voller Qual) oder „colla massima angoscia“ (in höchster Angst), und Kaufmann findet das Kolorit für diese großen Emotionen. Getragen werden beide von einem lustvoll und genau musizierenden Staatsorchester, das den dramatischen Furor dieser Partitur voll auskostet, dabei aber nie dick oder schwerfällig klingt. Alain Altinoglu leitete die Aufführung sicher und mit Freude am Detail, wenn manchmal auch recht laut.

Neuenfels hat den Zuschauern die Trüffel nicht vorenthalten. Nur bietet er sie ohne süße Zugabe. Ein Skandal ist das nicht. Grund zum Jubeln auch wenig.















 
 
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