Concerti
von Peter Krause
 
Puccini: Manon Lescaut, Bayerische Staatsoper, München, 15.11.2014
 
Eiskalte Glut
 
 
Münchens stolze Staatsoper sonnt sich – und sie hat manchen Grund dazu: Ihr Generalmusikdirektor Kirill Petrenko ist ein fantastisch inspirierter und inspirierender Präzisions- und Probenfanatiker, der Orchester, Chor und Sängerensemble klarmacht, dass man nicht nur die Hausgötter Strauss, Wagner und Mozart auf hohem Denkmalssockel halten muss, sondern auch Zimmermanns Soldaten mit derselben Selbstverständlichkeit auf Weltniveau zu musizieren hat.

Die jüngste Auszeichnung zum „Opernhaus des Jahres“ ist beste Bestätigung, dass an der Isar der größte Repertoiretanker der Republik fürwahr rund läuft und seine Runden über den weiten Ozean der Oper fast unangefochten ziehen kann – mögen Regie-Lust und Regie-Fortune an der Komischen Oper Berlin auch noch ausgeprägter und die Balance aus dramaturgischer Spielplan-Stimmigkeit, Inszenierungsanspruch und musikalischer Exzellenz, die keine Stars braucht, an der Oper Frankfurt noch feiner austariert sein. München hat nun aber – als die Publikumsmassen magnetisch anziehende und die Eintrittspreise maximierende Eigenart – auch die ganz großen Stars im Portfolio. Netrebko und Kaufmann für die Premiere von Puccinis Manon Lescaut sollten es schon sein – kein Haus der Welt kann die Partien heute besser besetzen.

Netrebko steigt aus – gibt’s ein Neuenfels-Skandal?

Die russische Primadonna schmiss jedoch zwei Wochen vor der Premiere das noch probenfeuchte Handtuch – es hatte zwischen ihr und dem Regieschreck von einst, Hans Neuenfels, die Chemie nicht gestimmt und folglich die Kommunikation nicht funktioniert. Man trennte sich im Einvernehmen. Und schweigt über Details. Von Netrebko selbst gibt es überhaupt keinen Kommentar. Kristine Opolais, die gemeinsam mit Jonas Kaufmann bereits an Londons Royal Opera in Covent Garden als Puccini-Traumpaar umjubelt wurde, übernahm die Manon nun auch in München. Und die Erwartung, mal wieder einen echten Regie-Aufreger besichtigen zu können, wuchs mit der spektakulären Diven-Absage noch: Gibt’s endlich wieder einen Neuenfels-Skandal?

Szenischer Scharfsinn

Zwar fing der Altmeister des Regietheaters mit seinem Team nach dem Ende der Premiere die obligaten Buhs ein, doch am Werk vergangen hat er sich mitnichten. Vielmehr hat er mit szenischem Scharfsinn und einiger Demut all der musikalischen Magie und der aufwühlenden Emotion Puccinis, die so gern unter Kitschverdacht gestellt wird, Bilder von klinischer Kälte entgegengesetzt, so eine Kontrastdynamik entfaltet, die in einigen Szenen von erhellender Triftigkeit ist und sich zumal im zentralen Signum der Inszenierung offenbart: Die uniforme Masse des Chores hat Andrea Schmidt-Futterer in einen wuselnden Staat von grauen Mäusen verwandelt. Fette Hintern und rote Feuerfrisuren sorgen für die groteske Fiesheit dieser in ihrer Gefühllosigkeit gleichgeschalten, mal blöde, mal gierig guckenden Spaß- und Genussgesellschaft. Die viel diskutierten Bayreuther Lohengrin-Ratten finden sich in München also gleichsam im Diminutiv wieder und erhellen hier holzschnittartig, dass wahre Individuen, zumal zwei wirklich Liebende, in diesem System zum tödlichen Scheitern verurteilt sind.

Surreale Skurrilität

Der stärkste Moment dieses Settings entsteht im zweiten Akt, wenn in Manons designschickem Salon die grauen Mäuse – übrigens ganz librettokonform – nun in Kardinalspurpur gewandet den geilen Gästen des reichen ollen Geronte etwas schweinchenhaft Schweinisch-Voyeurhaftes verleihen. Der Ballettmeister als eklig haariges Ungeheuer (herrlich messerscharf charakterisierend: Haustenor Ulrich Reß) gibt der Szene surreale Skurrilität: Im Aufbrechen des reinen realistischen Erzählens liegen von jeher Neuenfelssche Stärken, hier schält er aus dem Stück gar analytisch all seine bittere Wahrheit heraus. Und es wird klar: Der kühl sezierende Blick des Regisseurs und die Hitze der Musik können sich sehr wohl kontrapunktisch bereichern.

Jonas Kaufmann singt wie mit angezogener Handbremse

Schade nur, dass das diskutable Konzept dennoch nicht aufgeht. Denn es bleibt gut gemeinte Absicht, mit Manon und Des Grieux zwei aufeinander fixierte Sterne zu zeigen, die jene wenigen Augenblicke des wahren Lebens im falschen in die Ewigkeit ihrer Liebe verlängern wollen. Das Problem: Neuenfels und seine beiden Sängerstars können miteinander nichts anfangen. Jonas Kaufmann rettet sich mit den ihm eigenen, andernorts erprobten Standardgesten, bleibt szenisch freilich hilflos, gleicht zu oft einem Konfirmanden, der linkisch Gedichte von der ersten Liebe aufsagen muss. Dazu ist er in einer vokalen Verfassung, die weit unter der Bestform seines Londoner Des Grieux liegt. Jonas Kaufmann singt in München wie mit angezogener Handbremse, stets auf Sicherheit bedacht seine Spitzentöne ansteuernd, ganz ohne den Überschwang und Überschuss und die dramatische Intensität, für die sein Publikum ihn so liebt und die ihn in diesem Fach eigentlich zum legitimen Nachfolger eines Domingo macht.

Kristine Opolais kocht auf lyrischer Sopran-Sparflamme

Auch Opolais geht ihre Manon diesmal vorsichtig tastend an. Zur Figur der 18-jährigen Mädchen-Manon des ersten Aktes mag ihre Zurückhaltung und ihr Sich-Zurückziegen ins Lyrische noch passen. Ihre Wandlung zur girrenden Society-Schickse des zweiten, geschweige denn zur Tragödin der Schlussakte beglaubigt die attraktive blonde Lettin nur schauspielerisch. Ihre Sopranhöhe bleibt stumpf, sie blüht nicht, die Tiefe ist flach. Wo die Puccini-Phrasen voller Passion zu erschütternder Größe anwachsen müssten, singt Opolais auf Sparflamme schöne Töne.

Puccini-Passion kommt aus dem Graben

Beglückendes zu berichten gibt es viel eher vom Ensemble: Mit satt gerundetem Edel-Mezzo wertet Okka von der Damerau die kleine Partie des Musico auf, mit belcantistischem Kavaliersbariton, ganz ehrlich und ungekünstelt, ja ganz einfach zu Herzen gehend singt Markus Eiche den Bruder Manons. Und das Bayerische Staatsorchester entfaltet ein knisternd knalliges Puccini-Feuer. Wo es auf der Bühne an Passion mangelt, da drängt sie umso berührender aus dem Graben. Dort waltet nicht der Hausherr, sondern mit Alain Altinoglu ein prominenter junger Gast, der viel Gespür für saftigen Verismo besitzt, dem er indes auch manch impressionistisch feinen Flötenflor beizumischen versteht. Die an sich verheißungsvoll heißkalte Dialektik dieser Produktion aber hat am Ende etwas Lauwarmes. Die stolze Staatsoper sonnt sich – und leuchtet doch nur novemberneblig.
















 
 
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