Salzburger Nachrichten, 16.11.2014
KARL HARB
 
Puccini: Manon Lescaut, Bayerische Staatsoper, München, 15. November 2014
 
Wie das eben so ist mit angesagten Skandalen
 
Die Bayerische Staatsoper will zeigen, dass sich Stargesang und „Regietheater“ vereinbaren lassen.
 
Die rätselhafte Frage blieb auch nach der Premiere am Samstag unbeantwortet: Warum ist Anna Netrebko mitten in der Probenarbeit zu Puccinis „Manon Lescaut“ in der Bayerischen Staatsoper ausgestiegen? Es gab künstlerische Auffassungsunterschiede, so wurde es vonseiten des Hauses kommuniziert. Aber angesichts der tatsächlich vorgelegten, klug disponierten, aber unauffälligen Regiearbeit von Hans Neuenfels mag man nicht glauben, dass das nicht alles zu erlernen, zu begreifen und mitzutragen gewesen wäre, zumal ja Anna Netrebko durchaus gewillt ist, andere als bloß konventionell kostümierte Bildideen mitzutragen: Mimi in der Gosse, Leonora als Museumsaufseherin, ja sogar ein comicartig überschminktes „Trovatore“-Rollenprofil wie in Berlin.

Vielen Opernfreunden gilt indessen Hans Neuenfels immer noch als rotes Tuch, als Agent Provocateur des „deutschen“ Regietheaters. Reflexartig begannen sie denn auch bei seinem Auftritt am Samstag in München mit ihrem Buh-Gebrüll.

Es hätte dieses Energieaufwands wirklich nicht bedurft. „Manon Lescaut“ ist hier eine handzahme, seltsam neutrale, kreuzbrav biedere und beinahe farblose (schwarze Bühne, kaltes Licht, karge Meublage) Geschichte zweier unglücklich Liebender: eines Studenten und einer dem Luxus zugeneigten jungen Frau, die in plötzlicher Leidenschaft füreinander entbrennen, einer Intrige zum Opfer fallen und den Einsamkeitstod sterben.

Kalt und irgendwie auch teilnahmslos will der Regisseur den Fokus auf diese Figuren legen und sie den Blicken einer sensationsgierig gaffenden Menge aussetzen. Diese hat Andrea Schmidt-Futterer nach ihrer Art in auffällig aufgeplusterte graue, einmal klerikal-violette Kostüme gesteckt. Die Choristen tragen dazu flammend rot toupierte Frisuren, eine Gruppe junger Statisten steckt in schlichten, mausgrauen Gewändern. Die strenge Bewegungschoreografie verweist auf musikalisch altertümelnde Tanz- und Madrigalformeln, mit denen Puccini in seiner Partitur immer wieder spielt. Ansonsten bleiben die Bilder in einem jederzeit schicklichen Rahmen – buchstäblich, denn Bühnenbildner Stefan Mayer hat das Portal wie für eine Zeichnung neonscharf ausgeschnitten.

Insofern erscheint diese tagelang als Aufreger hinausposaunte Inszenierung regelrecht repertoiretauglich. Es ließe sich wohl jede Besetzung rasch und effizient in die Gegebenheiten einweisen.

Zur Premiere und ersten Aufführungsserie wollte die Bayerische Staatsoper, eben erst zum „Opernhaus des Jahres“ gewählt, luxuriösen Stargesang, auch um zu zeigen, dass er sich mit „Regietheater“ vereinbaren ließe. Das Luxusgefühl erfüllt natürlich Jonas Kaufmann als Des Grieux bilderbuchmäßig: mit strömendem, ungebrochenem Tenor, betörend im Piano, butterweich und cremig im Ausdruck, beweglich und kraftvoll ohne übermäßigen Druck in der Höhe. Kristine Opolais als Manon ist, mit eher kleiner Stimme, wohl eine andere Manon, als es Netrebko gewesen wäre: heller, offener, in der Spielintensität gerade im Finale auch von besonders ergreifender Direktheit.

Die übrigen Rollen, von Manons Bruder (Markus Eiche), dem alten Liebhaber Geronte (Roland Bracht) und dem Studenten Edmondo (Dean Power) abwärts bis zu durchgehend klar konturierten Chargen, beweisen, dass die Münchner Oper vokal leistungsstark aufgestellt ist: Auch das Ensemble ist hier Luxus.

Und das blendend disponierte Staatsorchester erst recht. Der vorzügliche Dirigent Alain Altinoglu, bei den Salzburger Festspielen für „Cosi fan tutte“ 2016 unter Vertrag, sorgt für einen entschlackten, fettfreien, dafür umso transparenteren und sehnigen Puccini-Sound, der das Klangbild in einem verblüffend modernen Licht erscheinen lässt.














 
 
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