Merkur, 17.11.14
Markus Thiel
 
Puccini: Manon Lescaut, Bayerische Staatsoper, München, 15. November 2014
 
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Wahrscheinlich ist das nicht. Aber es könnte doch sein, dass Hans Neuenfels ein paar Inszenierungen an der Bayerischen Staatsoper gesehen hat, dazu Vergleichbares bei anderen Spektakellieferanten. Auch deshalb vielleicht die wegwischende Riesengeste des alten Meisters, der alles längst durchschaut hat. Weg mit dem Krempel also, der verstellt statt erhellt, der nur kostet und nichts bringt, weil es halt, ob in der Oper oder bei den Genre-Geschwistern immer ums Eine geht: um zwei Menschen und darum, dass sie aus den seltsamsten Gründen nicht zueinander finden – und wenn schon, dann gern mit Todesfolge: „Wir suchen die Tragödie wie die Schweine die Trüffel“, wird einmal als Schrift projiziert.

Wenn sie also in die Wüste müssen, Manon und Des Grieux, dann ist da tatsächlich nichts mehr. Außer dieser Neonröhrenbatterie, die alles kalt beleuchtet; außer diesen grauen Gassen rechts und links, die doch nur abweisende, betontrutzige Stilisierungen der echten Bühnenränder sind. Und weil dort zwei begnadete Sängerschauspieler stehen, die zeigen, dass das Paar nun nichts mehr hat als sich selbst, dass es nur Halt findet aneinander und dass es jetzt, nachdem die Titelheldin sich und alles durchschaut, endlich (und zu spät) vereint ist, deshalb ereignet sich einer jener Theatermomente, die einen so unbarmherzig anfassen.

„Konvention!“, mag da mancher rufen, auch „Harmlosigkeit!“ Doch die Premiere von „Manon Lescaut“ an der Bayerischen Staatsoper, heftig diskutiert im Vorfeld wegen der Absage Anna Netrebkos, ist ja ganz anderes. Hans Neuenfels, der nach schwerer Operation gerade noch Genesene, ist schon weiter. Gewiss: Da gibt es die alten Tricks und Brechungen. Dem Kollektiv, das die Liebenden nicht nur garniert, sondern behindert, misstraut er weiterhin, mit Recht auch dem Pathos und der Gefühligkeit, was ja gerade Puccini rettungslos verkleistern kann. Beim Bayreuther „Lohengrin“ ironisierte Neuenfels den Chor als Rattenherde, hier sind es nun wuselnde, feuerrot frisierte Fettklößchen, die lustig mit den Riesenhintern wackeln (Kostüme: Andrea Schmidt-Futterer) – und das Kräfteviereck der Hauptrollen nur umso schärfer heraustreten lassen.

Auf Zwischentiteln werden Dinge wie „Öde ist Trumpf“ und innere Monologe von Des Grieux projiziert. Es brechtet also ein bisschen. Verzichtbar mag das sein, doch dank der schönen Texte hält die Spannung auch in den Umbaupausen: Das Publikum, sonst in solchen Minuten eine Versammlung Lungenkranker, ist tatsächlich still.

Der holpernden Dramaturgie von Puccinis Oper, an der gleich vier Librettisten herumschraubten, begegnet Neuenfels offensiv. Fast scheint es, als ob – wie bei Hoffmann in seinen Erzählungen – der Mann um vier verschiedene Frauen wirbt. Um die Fast-Novizin, die abweisende Glamour-Dame im kühl-schicken, mit Klunkern behängten Salon, um die gefesselte Heilige und um eine von sich und allem zu Tode Erschöpfte, die im verdreckten schwarzen Anzug auf merkwürdige Weise dem Geliebten gleicht.

Kristine Opolais spielt das großartig. Auch, weil ihre Manon keine Sympathieträgerin ist. Eine Frau, die immer eine dünne Abwehrhaut umgibt. Die auf der Suche nach ihrer Identität und eher irritiert ist von diesem Liebeskranken, der sie wie eine Fliege das Licht umkreist: Diese Unbedingtheit wird sie erst im Moment des Todes für sich erfahren.

Dass der Sopran der Opolais mehr nach Charakterfach tönt, dass vieles stumpf und glanzlos ist, mit zu wenigen Farbwerten, fällt gar nicht entscheidend ins Gewicht. Für ihre vokalen Voraussetzungen teilt sie sich die Partie klug ein – und ist doch, in ihrer uneitlen Präsenz, mehr als eine Einspringerin. Auch weil sich hier, in diesem intensiven Miteinander mit Jonas Kaufmann, das Neuenfels’sche Konzept erst erfüllen kann.

Kaufmann steht der Des Grieux blendend. Angriffslustiger darf er vorgehen als bei den Mezzavoce-Künsteleien anderer Rollen. Es gibt ein, zwei Passagen am Anschlag, ansonsten aber eine unverstellte Emotionalität, einen mal kaum verhangenen Prachtklang und eine elektrisierende Belebung der Partie ganz aus der Musik heraus.

Markus Eiche agiert auf demselben Niveau. Ein Lescaut, der als Einziger frei und im Reinen scheint. Mit so vielen intelligenten Zwischenwerten ist das gestaltet, sodass man gern mehr als sonst gewusst hätte, was aus diesem Manon-Bruder geworden ist. Roland Bracht als sympathisch-durchtriebener Geronte und Dean Power, als Edmondo hier der Dompteur im Liebeszirkus, aber auch die anderen Solisten heben die Besetzung auf Festspielniveau.

Bei Dirigent Alain Altinoglu ist ebenfalls Misstrauen zu spüren. Puccinis „schöne“ Stellen werden deutlich verschlankt und kanalisiert. Das Staatsorchester spielt unter ihm mit hell oszillierendem, hochenergetischem Klang. Nie zeigefingernd werden Leitmotive ausgestellt, Tempo- und Nuancendramaturgie stimmen. Altinoglu denkt das Opus aus dem Geist des Frühwerks, nicht aus dem manchmal zu selbstsicheren Gestus der späteren Puccini-Stücke.

Viel Raum zum Ausschwingen bekommt die Musik an diesem Abend, auch weil Stefan Mayers klare, nur mit wenigen Elementen spielende Bühne das ermöglicht. Stilzitat ist sie und Schauplatz der verqueren Gefühle: Wie sich Manon und Des Grieux erstmals annähern, wie mit kleinen verkrampften Zeichen angedeutet wird, dass es zwei Unvereinbare aufeinander abgesehen haben, wie schließlich ein Kuss alles löst, das bleibt haften von diesem bejubelten, mit einigen Buhs quittierten Abend. Ein Sängertheater im alten Stil? Fast scheint es, als ob Neuenfels da der Oper auch etwas zurückgibt. Selbst schuld, wer das als Star nicht mittragen will.














 
 
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