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Salzburger Nachrichten, 3.7.2013 |
KARL HARB |
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Verdi: Il trovatore, Bayerische Staatsoper, 27. Juni 2013 |
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Traumpaar in einer bombastischen Spektakelorgie
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An der Bayerischen Staatsoper ist schön langsam die Mass voll. Aufgeblasenes Getue zerschmettert die Qualitäten von Verdis „Trovatore“ |
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Es passiert noch während der Pause. Das Publikum strömt zurück in den Saal.
Da treten Jonas Kaufmann, engagiert als Manrico in Verdis „Il trovatore“,
und Elena Manistina, beschäftigt als Azucena ebenda, wie ein Varieté-Pärchen
auf. Herr Kaufmann legt sich in eine Magic Box und lässt sich nach den
Regeln der Zauberkunst zersägen und wieder zusammensetzen. Das verblüffte
Publikum applaudiert.
Aber was hat das mit Verdis „Il trovatore“ zu
tun? Erraten: nichts. Doch an der Bayerischen Staatsoper München liebt man
es offenbar zu zeigen, dass man aus dem Vollen schöpft. Also veranstaltet
Regisseur Olivier Py mit seinem Bühnenarchitekten Pierre-André Weitz einen
unfassbaren szenischen Zinnober für ein Stück, das nach einem legendären
Bonmot Enrico Carusos eigentlich leicht zu besetzen ist. Man braucht nur die
vier besten Sänger der Welt.
Immerhin: Zwei davon hat die Münchener
Oper. Anja Harteros ist als Leonora konkurrenzlos: golden leuchtendes
Timbre, herrlich strömende Energie der vokalen Linie, Strahlkraft mit immer
weicher, nie angestrengter Attitüde, eine Ausdrucksintensität in Ton- und
Phrasenbildung, Dynamik und Intonation, beispielhaftes Stilempfinden – mit
einem Wort eine beseelte Verdi-Stimme.
Das ist von Belang, da die
russische Hälfte der vier „Besten“ von „Verdi-Stil“ weit entfernt ist: Elena
Manistina, die die ganze Fülle ihrer Erscheinung auch in eine orgelnde
Azucena überträgt, und Alexey Markov, der mit verfärbten Vokalen und von
unten angegurgelten Tönen den Grafen Luna aus voller Röhre schleudert.
Jonas Kaufmann als Manrico fliegen natürlich alle Herzen zu, Nach den
ersten hingeschluchzten, wackeligen Troubadour-Strophen (immer ein heikler
Beginn) fängt er sich rasch, lässt sein Tenormetall glänzen, kontrolliert
auch sein gern gaumiges Piano immer besser, findet einen
biegsam-kraftvollen, persönlichen Ausdruck und betörende, bruchlos
aufgetragene Farben: ein Verdi-Held wie aus dem Bilderbuch.
Ankämpfen
müssen alle: nicht nur gegen die beständig rotierende Bühnenmaschinerie mit
bombastischen, schwarz glänzenden, neonbeleuchteten Bauten. Nie – bis fast
zum Schluss – herrscht Ruhe, Komparsen haben jede Menge zu tun: eine nackte
Hexe, ein langbeiniges Revuegirl, kämpfende Kraftprotze, natürlich mit
Ledermasken, akrobatisch herumgeschleuderte Tänzer, finstere Schergen, dazu
blutige Babypuppen, brennende Bäume, ein brennendes Kreuz – je nachdem,
wovon gerade die Rede ist. An den Häusern rotieren Räder, was wohl das
Zeichen beginnender Industrialisierung ist. Deswegen fährt zum
wunschkonzertbekannten Zigeunerchor auch eine veritable Lokomotive auf. Auf
sie hämmert ein Arbeiter, rhythmisch betont daneben, die Eisenschläge.
Man könnte darüber, schwer, aber doch, hinwegsehen. Weghören kann man
nicht, wie der Dirigent Paolo Carigniani Verdi permanent Eisenschläge
versetzt. Es lärmt und rumpelt im Orchester, dynamisch und im Tempo fährt
die Musik einen nicht einsichtigen Schlingerkurs zwischen Aufjaulen und
Abdämpfen, Beschleunigung und abrupten Bremsmanövern.
Aber Salzburg
darf sich freuen: Harteros und Kaufmann dürften auch als Elisabetta und Don
Carlo ein Traumpaar für die Festspiele sein. Und Peter Stein ist wenigstens
ein Regisseur, der sich für Menschen interessiert.Livestream: 5. Juli, 19
Uhr, www.staatsoper.de/tv
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