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Deutschlandfunk, 28.06.2013 |
Von Christoph Schmitz |
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Verdi: Il trovatore, Bayerische Staatsoper, 27. Juni 2013 |
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Psychoanalyse und Arbeiterkampf
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"Il Trovatore" von Giuseppe Verdi zum Auftakt der Münchner
Opernfestspiele |
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Paolo Carignani und Olivier Py haben sich mit ihrer Interpretation von
Verdis "Troubadour" viel vorgenommen. Azucenas Liebe zu ihrem Ziehsohn
Manrico bekommt einen psychoanalytischen Anstrich, während die "Zigeuner"
als Malocher in der Schwerindustrie schuften. Der neue "Troubadour" in
München hat es in sich. Er soll alles zeigen, was das Stück über Mensch,
Gesellschaft und Mythos zu sagen hat. Sämtliche Deutungsmöglichkeiten, sogar
die Rezeptionsgeschichte des Werkes sollen, wenn nicht ausgelegt, so
zumindest angedeutet werden. Das ist ein großes Unterfangen und vermutlich
als Paukenschlag gedacht für den Auftakt der Münchner Opernfestspiele. Mit
spektakulären Großereignissen sind diese Festspiele ja auch gespickt, etwa
mit einem Kampf der Giganten Verdi und Wagner im Jubiläumsjahr unter freiem
Himmel mit Monumentalskulpturen von La Fura dels Baus. In Sachen Spektakel
hat Verdis "Troubadour" ja auch eine Menge zu bieten, von schockierenden bis
rührenden musikalischen und szenischen Effekten. Mit denen und mit dem
"Rigoletto" davor und der "Traviata" danach hatte Giuseppe Verdi schließlich
um 1850 seinen Durchbruch als einer der größten Opernkomponisten des
Jahrhunderts geschafft.
"Es lodern die Flammen! Eine wilde Menge eilt
zum Feuer, glückstrahlend die Gesichter; Freudenschreie erschallen ringsum.
Von Schergen umringt, naht eine Frau!"
Die russische Mezzosopranistin
Elena Manistina verleiht der Zigeunerin Azucena all die dunkle Tinte, die
ihr die Schauerromantik zuschreibt. Die Schockstarre, nachdem Azucena ihr
eigenes Kind im Wahn verbrannte und die eigene Mutter auf dem Scheiterhaufen
hat sterben sehen, steht der Alkoholikerin ins blasse Gesicht geschrieben.
Die nackte alte Mutter, blutige Kleinkinderpuppen erscheinen immer wieder in
den schwarzen Industrieaufbauten. Die Obsessionen, von denen die Figuren
geplagt sind, könnten nicht sinnfälliger werden. Zugleich bekommt Azucenas
Liebe zu ihrem Ziehsohn Manrico noch einen psychoanalytischen Anstrich. Sie
pflegt den verletzten Krieger nicht nur, sondern legt sich zu ihm ins
Krankenbett und küsst ihn sehr lange auf den Mund. All das zieht
Bühnenbildner Pierre-André Weitz zusätzlich in eine Art triviales
Jahrmarktstheater. Eine kleine Bühne auf der Bühne zeigt die gnadenlose
Kolportage. Verdi wollte ja wirken und unterhalten, seine Kunst war
italienisches Volkstheater, das Um-ta-ta im Dreivierteltakt selbst zu
hochdramatischen Momenten hat der Komponist bis zum Schluss nicht gescheut.
Darum hat es Jahrzehnte gedauert, bis der Italiener in Deutschland aus der
Ecke des Trivialen wieder herausgeholt wurde. Auch das spiegelt sich in der
Regiearbeit von Olivier Py wieder. Dazu kommt eine sozialkritische Schicht,
die im Mittelalterstoff angelegt ist. Die Zigeuner sind bei Py Malocher in
der Schwerindustrie während der industriellen Revolution.
"Wer
verschönt die Tage des Zigeuners? Das Zigeunermädchen!"
Die Arbeiter
des starken Bayerischen Staatsopernchors feiern hier zwar um und auf einem
Dampflokomotivenkoloss, später aber politisieren sie sich, Männer mit roten
Fahnen laufen dann über den Platz, der bewaffnete Kampf beginnt. Und
schließlich kann man die Auseinandersetzung der beiden Brüder Luna und
Manrico als archaischen Kampf verstehen. Luna und Manrico sind wie Kain und
Abel. Der eine erschlägt den anderen. Die Mythosebene zeigt die Münchner
Aufführung in der Bühne auf der Bühne, als Schwertkampf in Zeitlupe zwischen
zwei Männern mit nacktem Oberkörper und Tiermasken auf dem Kopf. Die
Liebesgeschichte gerät bei dem üppigen Aufgebot an Motiven und Deutungen
jedoch etwas in den Hintergrund, auch wenn Jonas Kaufmann als Manrico für
tenorale Strahlkraft sorgt.
"Ja, meine Liebste, vereint mir dir, du
meine Gefährtin, wird noch furchtloser meine Seele sein, und noch starker
mein Arm."
So reich und bewundernswert Kaufmann im Forte sein
Frequenzspektrum entfaltet, so schmal und stumpf bleibt es, sobald er sich
unterhalb des Mezzoforte bewegt. Anja Harteros als Leonora aber ist zusammen
mit dem fabelhaften Orchester unter Paolo Carignani der Glutkern des
Münchner "Troubadour". Harteros Stimme und die Intensität ihrer
Bühnenpräsenz tragen alles, bis in die feinsten und zerbrechlichsten
Momente.
"Eingehüllt ins Dunkel der Nacht bin ich bei dir, und du
weißt es nicht!"
Trotz Anja Harteros und trotz der szenischen und
interpretatorischen Fülle, die das Regieteam anbietet, bleibt ein
zwiespältiger Gesamteindruck. Vieles wirkt nur bebildert, angedacht,
verdoppelt, aber nicht so recht durchgearbeitet oder ausgereift. Zudem
verliert das Spiel auf der anfangs sich permanent bewegenden Drehbühne an
Dynamik. Etwas Statisches schleicht sich ein. Vielleicht hat man zu viel
gewollt, ist zu schnell in die Kurve gefahren und hat sie nicht mehr so ganz
gekriegt. Aber das müsste noch auszubessern sein.
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