Kurier, 28.06.2013
Peter Jarolin
 
Verdi: Il trovatore, Bayerische Staatsoper, 27. Juni 2013
 
"Il Trovatore" bei den Opernfestspielen in München
 
 
Ein Cartoon? Ein Comic-Strip? Ein psychologisch motiviertes Drama? Eine wilde Raubersgeschichte? Was bitte ist Giuseppe Verdis Oper „Il Trovatore“ wirklich? Bei den Wiener Festwochen (und damit demnächst auch in Berlin) dominierte in der Regie von Philipp Stölzl das clowneske Element; wie sich die Wiener Volksoper schlagen wird, ist dann ab November zu sehen. Bei den Münchner Opernfestspielen jedenfalls wird Verdis 1853 uraufgeführtes Werk zum medial überaus wirksamen, psychoanalytischen Fanal mit dem trashigen Touch eines Quentin-Tarantino-Movies.

Böse Psyche

Denn Regisseur Olivier Py – für ihn gab es bei der Premiere Buhs und Bravos – will aus der wirren Geschichte rund um eine Zigeunerin, die aus Wut gegen andere (ihr schlecht gesonnene Adelige) ihr eigenes Kind verbrannt hat und nun das Glück des fast leibhaftigen Sohnes zerstört – extrem viel machen. Ach, und ja: Das Libretto ist wirr, wirr und noch viel wirrer! Py jedoch führt mehrere Ebenen ein. Da gibt es die totale (Über-)Mutter Azucena (besagte Zigeunerin), da ist ihr (Fast-, weil ja nicht leiblicher) Sohn Manrico in den träumenden Augen seiner Angebeteten Leonora das Alpha-Tier im Manne. Passend mit Stiermaske. Und wenn die Mama dem Sohn die Familiengeschichte erzählt, liegt dieser im Bett in einer psychiatrischen Klinik. Ödipus-Komplex und Papa Freud sind mit von der Partie.

Tolle Zaubertricks

Aber Py und sein sich an den Arbeiten von Jean Tinguely abarbeitender Bühnenbildner Pierre-André Weitz wollen noch mehr: Ein bisschen Ku-Klux-Klan, ein (leider aktuelles) Vertreiben der „Zigeuner“, ein wenig Marx-Brothers, sehr viel Film, eine Prise Trash, große Emotionen, eine Spur Nacktheit und religiöse Anspielungen – was man auf der dreistöckigen Drehbühne sieht, macht visuell Freude und ist meistens auch sehr klug. Dazwischen gibt es in der Pause noch Azucenas Zaubertricks – denn wir spielen doch alle! Schnapsdrossel und Theater-Prinzipalin –, auch das passt. Und die Technik (im Jahr der Uraufführung) spielt eine weitere gewichtige Rolle, gemahnend an Wagners „Siegfried“-Schwert-Schmiede-Szene aus dem „Ring“.

Großer Nachteil: Olivier Py überhöht, verdoppelt, verdreifacht die ohnehin schon absurde Handlung, findet dabei zu tollen Sequenzen – aber auch er kommt Verdis „Trovatore“ nicht stringent bei. Vielleicht geht das bei diesem Werk ja gar nicht.

Vokale Verführung

Was aber – zumindest in München – geht, ist eine fulminante musikalische Umsetzung. Das liegt nicht nur an Startenor Jonas Kaufmann. Gewiss: Der Münchner Lokalmatador ist eine Klasse für sich, schmettert alle hohen Cs nur so aus sich heraus, ist zu allen Lyrismen und einer einprägsamen Rollengestaltung fähig. Kaufmann ist einfach in jeder Partie grandios!

Das wahre, weil überraschendste Ereignis aber ist die Leonora der Anja Harteros. Selten hat eine Sopranistin vokal so intensiv und so makellos (über ihre Italinatà mögen manche mäkeln) und vor allem so verführerisch eine Frau zwischen Liebe und Wahnsinn dargestellt. Harteros singt, und ein Fenster zu einer anderen (Verdi-)Welt öffnet sich. Traumhaft!

Verschenkte Chancen

Dass der Rest nicht mithalten kann, versteht sich fast von selbst. Elena Manistina – von der Regie zur Hauptperson gemacht – ist eine sehr solide, aber keineswegs überragende Azucena. Die Mezzosopranistin besticht vor allem durch ihre Präsenz. Nicht einmal das kann man von Alexey Markov, dem auch stimmlich kaum vorhandenen Grafen Luna, behaupten. Der eher im Tenor-Bereich angesiedelte Bariton könnte ein Großer seines Fachs werden, noch ist er es nicht. Toll: Kwangchul Youn als Ferrando und Golda Schultz als Ines, denen Dirigent Paolo Carignani (mit sehr großem Hang zum Fortissimio) und der starke Chor verlässliche Partner sind. Verdis „Trovatore“ in München – das lohnt, trotz aller Einwände.












 
 
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