Opernglas, April 2013
F. Plotkin
 
Wagner: Parsifal, Metropolitan Opera, Februar/März 2013
 
New York - Parsifal
 
 
Der neue »Parsifal« an der MET scheint in einer postapokalyptischen Zeit angesiedelt, die nicht genau einzuordnen ist, daher aber auch keine konzeptionelle Einengung mit sich bringt. Man nimmt dieses Fehlen einer zeitlichen und räumlichen Verortung aber kaum wahr, da die Erzählweise in Francois Girards großartiger Inszenierung und die Leistung des Met Orchesters unter Leitung von Daniele Gatti in jedem Moment für allerhöchste Spannung sorgten. Die DVD von der Live-Übertragung vom 2. März dürfte demnach zu einer wahren Kostbarkeit werden.

Richard Wagner hatte einmal gesagt, dass es ihn weniger interessiere, ob seine Werke aufgeführt, als dass sie seinen Vorstellungen entsprechend aufgeführt würden. Ob ihm diese Produktion gefallen hätte, selbst wenn sie seine Ideen bezüglich von Leiden, Demut und Barmherzigkeit prächtig abbildete? Die Bühne (Bühnenbild Michael Levine) zeigt im ersten und dritten Akt einen unüberwindlichen Berg, der von einem kleinen Bach durchschnitten wird. Während sich auf der rechten Seite die Gralsritter versammeln, stehen und sitzen auf der linken schweigend Frauen. Dahinter werden auf einer Leinwand Videoprojektionen gezeigt, manche davon realitätsnah, andere abstrakter Natur. Sie lenken weder ab noch dominieren sie die Szene, vielmehr integrieren sie sich auf wundersame Weise in Musik und Handlung. Manchmal erscheint der Bach ausgetrocknet, dann wieder führt er Wasser oder sogar Blut als Bild für die nicht heilende Wunde des Amfortas.

Der zweite Akt in Klingsors Reich ist nicht jener magische Garten, den Wagner beschreibt, sondern eine Höhle, in der keine Blumenmädchen, sondern weiß gekleidete Kriegerinnen in großen Lachen von Blut stehen, das ein wenig zu stark herumspritzt in der entscheidenden Szene zwischen Parsifal und Kundry. Das wirkt dann doch zu prosaisch in einer Inszenierung, die ansonsten so wirkungsvoll mit der Mehrdeutigkeit spielt.

Der auf den ersten Blick von der christlichen Vorstellung vom Leiden geprägte Inhalt, die — obwohl Jesus nicht direkt erwähnt wird — die nicht heilende Wunde Amfortas' in die Nähe der in vielen Kunstwerken festgehaltenen bildhaften Darstellung der Wunden Christi rückt, wird in dieser Produktion auf geniale Weise losgelöst behandelt von jeder Nähe zum Christentum. Die Vorstellung vom Leiden wird als universeller Gedanke transportiert, der jedes menschliche Wesen anspricht, sei es nun religiös geprägt oder nicht. Erlösung und innere Reife stellen sich ein, sobald man sich anderen Menschen gegenüber als mitfühlend und gütig erweist.

In der durchweg erstklassigen Besetzung gab Jonas Kaufmann einen Parsifal, der bereits nicht als tumber Tor angelegt war, sondern als unbefangener Mann, bei dem Verständnis und Barmherzigkeit aus der Lebenserfahrung heraus erwachsen. Dies gelang Kaufmann musikalisch wie darstellerisch wunderbar komplex und mit starker Menschlichkeit auszuformen. Ebenso hervorragend die weitere Besetzung mit Katarina Dalayman (Kundry), Peter Mattei (Amfortas), Evgeny Nikitin (Klingsor) und Rene Pape (Gurnemanz). Mattei überzeugte mit einem gelungenen Rollendebüt, das in einer langen Reihe großer Amfortas-Sänger an der Met bereits jetzt als eine der besten I nterpretationen bezeichnet werden darf, was auch und vor allem für Pape als Gurnemanz gilt, der in dieser längsten Rolle des Werkes mit wunderbarem Gesang und darstellerischer Präsenz den Weg in die mystische Welt dieses »Parsifal« wies.

Das MET-Orchester versteht sich bestens auf die einzigartigen Besonderheiten dieser Partitur. Ein Klang, wie er aus dem abgedeckten Orchestergraben des Bayreuther Festspielhauses, für das »Parsifal« bekanntlich als einzige Oper Wagners exklusiv komponiert worden war, in das schräg ansteigende Auditorium hinauf tönt, nicht anderswo einfach replizieren — allein die Met hat nicht nur etwa doppelt so viele Plätze, viele davon schauen auch zur Bühne hinauf —, aber die Musiker spielten inspiriert von dem Wunsch, diesen Klang zumindest heraufzubeschwören. Die sich überlappenden Einsätze einzelner Instrumentengruppen, die integraler Bestandteil und Eigenheit der »Parsifal«-Partitur darstellen, werden hier gepflegt im Gegensatz zu der entweder präziseren Trennung oder einem verwaschenen Spiel, das man in anderen »Parsifal«Aufführungen oft vorfindet. Großen Anteil am Gelingen hatte Daniele Gatti, der mit genügend Autorität auch für eine Einheit mit dem Mystizismus dieser Oper sorgte.









 
 
  www.jkaufmann.info back top