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Opernnetz |
Andreas M. Bräu |
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Verdi: La forza del destino, München, 22. Dezember 2013, besprochene Vorstellung 5. Januar 2013 |
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Kreuzweise
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Mit Furcht und Freude zugleich blickten die Münchner auf diese Premiere. Zum
einen vereint sich das Traumpaar vom Trovatore und vom Requiem – Harteros
und Kaufmann – erneut. Zum anderen aber nimmt der bekannte Quertreiber vom
Bayerischen Staatsschauspiel, Martin Kusej, nach seiner heftig umstrittenen
Rusalka erneut auf dem Regiestuhl Platz. Die Weihnachtspremiere zum Ausklang
des Wagner-/Verdijahres beruhigte dann die Gemüter, und die Sänger
triumphierten.
Eine deutliche, radikale Lesart verspricht Kusej
üblicherweise, der in seiner Inszenierung jegliche Macht des Schicksals
verneint, sondern als Trick der Kirche und als menschlichen Zufall
apostrophiert. Immer wieder bildet die kleinbürgerliche Enge, das spießig
Vergangene den Knotenpunkt, auf den sein Regiedolch einsticht. Deswegen
erscheint sein Alvaro auch nicht als Mestize sondern als langhaariger,
alternativer Badboy, der so gar nicht in das konservative Familienidyll
passen will. Das brave Mädchen Leonore fühlt sich nach dem obligaten
Abendgebet unter dem Schatten des Kreuzes umso mehr von dem rüden Kerl
angezogen. Es kommt, wie es kommen muss: In einem mafiösen Finale löst sich
der schicksalsschwangere Schuss auf den eifersüchtigen Vater und löst vier
Akte der Verzweiflung, der Kriegswirren, der Rachegelüste und der großen
Tragik aus. Kusej hält sich nicht lange mit dem Grund der Handlung auf,
sondern führt die Folgen aus. Dabei gelingt ihm eine typische
Programmheftinszenierung, die viele offene Fragen lässt, etwa sein auf der
Bühne nicht erschließbarer Ansatz, dass sich weite Teile in Leonores
Gedanken abspielen sollen. Die Sphäre der Einbildung erschließt sich nur
durch Lektüre oder Besuch der Einführung. Denn was wir sehen, sind
überzogene Schlachtengreuel mit detaillierter Nachstellung der
Abu-Ghuraib-Vergehen, lüsterne Soldatenorgien samt kopulierender Statisterie
und eine Alt-Herren-Sekte, die anstatt der eigentlichen Mönche Leonore
düstere Zuflucht und ihrem Double eine Ganzkörpertaufe verschafft. Nichts
mehr von der Schillerschen Wallensteinromantik, keine Weihemomente, nichts
Heldisches im buckelnden Alvaro und schlussendlich eine Rückkehr ins
heimische, unglückliche Wohnzimmer. Dieses gestaltet Kusejs
Stammbühnenbildner Martin Zehetgruber mit gewohnt vergrößerter Optik
zwischen 1970-er-Jahre-Stechpalme, Minipool und Holzklappwand. Die Anleihen
an den Landsmann Ulrich Seidel und seine Kreuzmotivik mit dem Film
Paradies:Glaube sind offenkundig. Die Botschaft bleibt die Gleiche: Das
leere Kreuzsymbol, das zum Ende hin ein Golgotha-Gestrüpp bildet, aus dem
Leonore aus ihrer Einsiedelei entsteigt, rettet die Handelnden nicht unter
den angesprochenen Schatten, sondern drückt und bedrückt sie bis zum Tod.
Die Schauplatzvielfalt des Werkes erlaubt bühnentechnisch noch einen
epochalen Riss in der Wand und einen geschickten Perspektivwechsel von oben
auf ein zerschossenes Militärkrankenhaus. Das alles erfordert bei den vielen
Umbaupausen des langen Abends allerdings Geduld. Ebenfalls im bewährten
Kusej-Team die Ausstattung von Heidi Hackl, die dem tristen Militärschick
und dem biederen Ton der Inszenierung mit ihren Kaufhauskostümen folgt.
Kusej gelingen dabei viele gute, nicht schöne Bilder wie die wehenden
Vorhänge des ersten Aktes oder sein Spiel mit dem konstant an der Rampe
stehenden Esstisch. Szenisch und interpretatorisch fehlt allerdings –
vielleicht dem mäandernden Werk geschuldet – ein verbindender und
dramaturgischer Bogen.
Diesen liefern die großen Namen. Harteros an
ihrem Zenit und ein ebenso starker Kaufmann lassen das vergangene
Weihnachten nachklingen. Harteros verstöpselt ihren Glanzsopran mit den
Kirchenglocken und beeindruckt weniger mit ihrer technisch perfekten
Tonproduktion, als mit dem endlosen Halten der sanften Höhen etwa im „Pace“
ihrer Friedensarie. Die Stimme verkörpert dabei genau Schillers Telos des
Dramas der Innerlichkeit. Ihre verschlossene, unterdrückte und unselige
Figur vergöttlicht sich im Gesang zur schönen Seele, zu Märtyrerin ihres
Schicksals. Kaufmann wirkt bei dem gefürchteten Kaltstart, als hätte er sich
bereits mit einem Matineen-Parsifal eingesungen und beweist erneut seinen
Weltanspruch als führender und vielseitigster Tenor dieser Tage. Sofort
schenkt er freigiebig ein. Dunkel, breit und mit Nachklang. Seine offene,
fast verschlagene Stimme passt auf diesen seltsamen Alvaro. Die Figurenregie
weniger. Erst als Priester scheint sich Kaufmann in der nonchalanten,
hektischen und seltsam abwesenden Figur wohlzufühlen. Bei den schlecht
choreographierten Bühnenkämpfen und Waffenduellen kann er nicht die
spielerische Größe beweisen, die er üblicherweise zeigt. Die Regie hilft ihm
da wenig. Die meisten Arien singt er im Liegen oder versteckt am Portal.
Ebenfalls Verdis epischer Dichtung geschuldet, erlaubt die Szene nur zwei,
wenngleich berührende Duette, während die Titelsoli jeweils aktweise
komplett aussetzen und in der Handlung komplett pausieren.
Stark
neben den überzeugenden Stars die Nebenrollen mit einem großartigen Ludovic
Tézier als Don Carlo, der seinen Bariton mühelos strahlen lässt und fast
tenoral protzen kann. Vitalij Kowaljow als Marchese und Guardiano leidet
szenisch an der fraglichen Rollendopplung einer etwaigen Aussöhnung mit dem
toten Vater, stemmt aber den schwierigen Bass-Part mit Bravour. Einzig Nadia
Krastevas Rataplan-Ohrwurm fällt bei dieser starken Besetzung als zu
verwischt und angestrengt ab. Der Chor macht es ihr dabei schwer. Verdis
Zugeständnis an die Grand Opera: „Viel Volk belebt die Szene“; und dieses
Volk aus Chor und Extrachor der Staatsoper adelt sich dank Sören Eckhoff zum
eigenständigen Akteur dieser Produktion. Mit der Verdi-notwendigen
Beschwingtheit, Kraft und der klanglichen Fülle liefert der Chor auch
szenisch als suchende und schließlich sterbende Masse die beste Leistung
seit dem Godunow des letzten Jahres ab.
Das gelingt Dirigent Asher
Fisch nicht, der zwar gehorsam mit seinen großen Sängern mit atmet, jedoch
weder eine spritzige noch interessante Lesart von La Forza findet. Das
Orchester wirkt an manchen Stellen alleingelassen, das verbindende
Schicksalsmotiv zu uninspiriert abgespult.
Einige Buhs beim Applaus
monieren das, während sich ein berechtigter und nicht enden wollender
Bravochor und Ovationen über das Traumpaar Harteros und Kaufmann ergießt,
die das Publikum mit dieser inszenatorisch angestrengten Schicksalsstunde
versöhnen.
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