Opernwelt, Dezember 2013
Gerhard Persché
 
Puccini, La fanciulla del West, Wiener Staatsoper, Oktober 2013
 
WAS SCHÖNER IST ALS EIN AFF'...
 
Einer der besten Sätze von Tante Jolesch ist folgender: «Was ein Mann schöner ist als ein Aff, ist ein Luxus». Zumindest in Österreich hat das Zitat aus Friedrich Torbergs Buch Eingang in den Sprichwortschatz gefunden. Nach diesem Maßstab gibt sich die Neuinszenierung von Puccinis «La fanciulla del West» an der Wiener Staatsoper extrem luxuriös: Jonas Kaufmann ist mit seinem Partiedebüt als Dick Johnson zu erleben. Er sieht nicht nur glänzend aus, sondern singt auch so, zumindest über weite Strecken, setzt oft aufs Verhaltene, bleibt aber auch im Auftrumpfen größtenteils souverän. Beckmesser könnte freilich anmerken, dass er gelegentlich auf die Tücken dieser Partie hereinfällt, da er die Stimme in der Mittellage (zu) breit zu machen und dadurch seiner Höhe -etwa den beiden hohen B's in «Ch'ella mi creda» -etwas vom Squillo zu rauben scheint.

An Kaufmanns Seite die Titelheldin in Gestalt von Nina Stemme - optisch mit Pumuckl-Perücke und im ersten Akt mit Latzhose (Kostüme: Dagmar Niefind) nicht eben bevorteilt, vom Typ her auch kein verwunschenes Mädchen mehr. Doch das vergisst man, wenn sie singt: überzeugend, mit stählernem Klang, aber auch mit weicher, inniger Tongebung in jenen Szenen, wo die Musik dem Hörer Bilder aus den verschlossenen Kammern ihrer Seele zuspielt. Diese Stellen formuliert das Staatsopernorchester unter Franz Welser-Möst durchsichtig und elegant, süffig, doch nie schmalzig, arbeitet Details heraus wie kleine Preziosen.

Giacomo Puccini wollte mit seiner «Fanciulla»-Musik keineswegs amerikanische Szenerien illustrieren, sondern Neues, Kühnes wagen. Und das hat - auf diese Feststellung legen Dirigent Franz Welser-Möst und Regisseur Marco Arturo Marelli Wert - mit einer Pferdeoper überhaupt nichts zu tun. Daher auf der Bühne kein hollywoodesker Wildwest-Kintopp, definitiv kein Gaul, weder real noch virtuell. Vielmehr türmt Marelli als sein eigener Bühnenbildner im ersten Akt Wellblech-Container übereinander, die Goldgräbern/ Flüchtlingen/Ausgegrenzten als Lager dienen. Dazwischen Minnies Trinkbude, ein mickriges Wellness-Zentrum für die traurigen Gestalten, die da wegen ein paar Nuggets oder was auch immer ihre Seele verkaufen und fast schon lächerlich unmögliche Träume träumen. Minnies Heim in den Bergen ist eine bühnenbreite Schuhschachtel, während der dritte Akt auf einem Abstellgleis samt Güterwaggon spielt - ein Bild, das man von berüchtigten Arbeitslagern sattsam kennt. Zum lieto fine sinkt ein kitschiger Ballon aus dem Bühnenhimmel nieder und entführt Minnie samt ihrem Bandolero; zurück bleibt Leere, als hätte man die Hauptfigur aus einer Fotografie geschnitten.

Es ist, wie gesagt, ein «anderer» Puccini, der sich hier präsentiert. Wie ein Schwamm saugt der Komponist die Strömungen seiner Zeit auf, mit Ganzton-Akkorden verbeugt er sich vor Debussy («neufranzöselnd» nannte Oskar Bie die Partitur), benutzt das damals avantgardistische Prinzip der Collage und führt eine neue Orchestersprache vor, die sich nicht mehr mit einer parallelen Begleitung der Singstimmen begnügt, sondern ein intensives Eigenleben entfaltet. Dennoch kann dies nicht als Entschuldigung dafür dienen, dass Welser-Möst das Staatsopernorchester ab und an in Dezibel-Rotbereiche treibt. Auf jeden Fall macht das manchem Sänger zu schaffen. Die Stemme kann sich immer durchsetzen, Kaufmann nicht. Der dritte im Bunde der Protagonisten, Tomasz Konieczny, gibt den Sheriff Jack Rance mit markantem, oft knödeligem Ton als Brunnenvergifter im Military-Look. Durchweg achtbar die Goldgräberriege.
Das Abstellgleis im letzten Bild gäbe Gelegenheit zur bissigen Schlusspointe. Doch vor allem Nina Stemme und Jonas Kaufmann sorgen dafür, dass der Abend nicht auf ein solches gerät.















 
 
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