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Der Neue Merker, 11/2013 |
I.M.S. |
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Puccini, La fanciulla del West, Wiener Staatsoper, 5. Oktober 2013 |
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Der etwas andere Puccini
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"La fanciulla del west" - 5.10.
Sie gehört nicht zum
Kernrepertoire und zwischen den Wiener Produktionen — 1913, 1936, 1952
(Volksoper), 1976 — konnten schon einmal Jahrzehnte vergehen. Nun wartet man
gespannt darauf, ob der Produktion von Marc Arturo Marelli/Dagmar Niefind
ein besseres Schicksal beschieden ist.
Der Tausendsassa David Belasco
(1853 — 1931), dessen „Butterfly"-Stück zwar bei der Uraufführung 1904 zum
größten Misserfolg in Puccinis Karriere wurde, der sich jedoch mit der
vierten Fassung zu einem ebenso großen Welterfolg mauserte, war mit seinem
Broadway Hit „The Girl of the Golden West" wieder ein Pate für eine
Puccini-Oper, mit deren Libretto sich Guelfo Givinini und Carlo Zangarini
redlich abplagen mussten, ehe es dem anspruchsvollen Komponisten gefiel.
Irgendwie muss ihn die einfache Geschichte vom tapferen, gutherzigen Girl —
das um seine Liebe zum Räuber Ramerrez (vulgo Dick Johnson) mit
Überzeugungskraft, Betrug beim Pokern und nicht zuletzt mit gezogenem
Revolver kämpfen muss — gepackt haben und er hat seine musikalische Palette
dafür ziemlich radikal verändert.
Statt schmeichelnd-weicher Phrasen
trockenes Parlando, dessen orchestrale Grundlage jedoch äußerst
bemerkenswerte Farben und Stimmungen birgt; ariose Aufschwünge wachsen sich
nur bei Dicks „Ch'ella mi creda" zu einem echten Tenor-Schlager aus, kurz,
Puccini tut nicht das, was man von ihm erwartet. Vielleicht konnten die
Hörer in den langen Abständen, in denen das Werk gespielt wurde — und wird —
seinen wahren Wert nicht erkennen? Ungemein präzise malt Puccini jedenfalls
die Charaktere des Männerhaufens, der da mitten in der Pampa mit seinem
Leid, seinem Heimweh und seinen daraus wachsenden Aggressionen allein ist.
Ein Quantum Trost spendet ihnen nur die einzige Frau weit und breit, von der
man sich immer wieder fragt, wie sie eigentlich dorthin kommt, sie, der
Gutmensch auf verlorenem Posten, auf dem man eigentlich eher Frauen mit
einer recht komplizierten Vorgeschichte erwartet als jene Minnie, die noch
nie geküsst hat.
Diese Problematik haarscharf herausgearbeitet zu
haben, ist das Verdienst von Marellis Regie. Jede kleinste Rolle hat ein
eigenes Profil, genau sind Charaktere und Situationen gezeicnnet und die
Solisten und der bravouröse Männerchor der Staatsoper bewährten sich als
perfektes Ensemble. Marelli, sein eigener Bühnenbildner, hat den netten
Saloon, den man von den beiden letzten Inszenierungen (Adolf Rott und Lotfi
Mansouri, beide durchaus braucnbar) gut kennt, durch aufeinandergestapelte
Container ersetzt — die, wie auch Minnies Würstelstand, in der letzten Zeit
plötzlich in Mode gekommen sind —was aber nichts ausmacht. Das Ambiente
verliert dadurch jenen gewissen Hauch von Wildwest-Romantik (manche nennen
es Hollywood-Kitsch), der das Stück früher prägte. Dass sich die heimische
Kritik plötzlich über unkleidsame Kostüme und Perücken aufregt, war neu und
verwunderlich. Seit 20 Jahren gibt es scheußliche Kostüme und nie nat noch
das Wiener Feuilleton dagegen angeschrieben. Dabei waren Minnies Latzhose
und ihr roter Lockenkopf genau an die darzustellende Figur und die eher
herbe Persönlichkeit von Nina Stemme angepasst und halfen mit am Erschaffen
einer eindrucksvollen Bühnengestalt.
So stand sie also ihren Mann im
wilden Westen, die große Wagner-Heroine Nina Stemme, mit ihrem
dunkelgetönten Riesensopran und der jubelnden Höhe, die dazu beitrugen,
einen Menschen voll zartem Gefühl, enormer Empathie und kämpferischem Mut zu
gestalten, der sein Schicksal in die Hand nimmt. Marelli, der dem Happy End
einen Hauch von Irrealität verleiht, lässt die beiden Liebenden in einem
Ballon entschweben. Er glaubt offenbar nicht daran, dass die Geschichte für
Minnie gut ausgeht — wahrscheinlich hat er recht. (Mit dem braven Sonora
wäre sie besser dran gewesen, doch dem fehlte halt das Faszinosum des
Räubers.) Jonas Kaufmann tat einen weiten Schritt in das dramatische
italieniscne Tenorfach, sang und spielte beherzt einen recht sympathischen
Räuber und machte allerbeste Figur. Stimmlich harmonierten die beiden
dunklen Timbres aufs allerbeste und das Zusammenspiel war von brennender
Intensität. Tomasz Konieczny bot seine Bühnenpräsenz für den
schmierig-brutalen Jack Rance auf, seine für die Partie zu helle Stimme
veranlasste ihn jedoch wieder zu jenem „Hinunterdrücken", mit dem er die
Mittellage färben will und das zu einer Verzerrung der Vokale, besonders des
A führt, eine technische Schwäche, die er doch einmal bewältigen sollte.
Wacker hielt sich das Aufgebot des Herrenensembles, in dem jeder
Darsteller auf dem rechten Platz war: Norbert Ernst als besorgter Nick,
Paolo Rumetz (Ashby), Boaz Daniel als redlicher Sonora, Michael Roider
(Trio), Hans Peter Kammerer (Sid), Tae-Joong Yang (Bello), Peter Jelosits
(Harry), Carlos Osuna (Joe), Clemens Unterreiner (Happy), Il Hong (der
heimwehkranke Larkens), Jongmin Park (Billy Jackrabbit), Alessio Arduini
(Jake Wallace/José Castro), Wolfram Igor Derntl (Postillon). Juliette Mars
gab die Wowkle.
Ebenso penibel und genau wie der Regisseur waltete
Franz Welser-Möst am Pult des Staatsopernorchesters, das aus den kleinen
Floskeln und farbigen Stimmungen, die den Singstimmen die Basis bieten, den
allerschönsten Klang hervorzauberte. Welser-Möst verabsäumte aber
keineswegs, die großen dramatischen Ausbrücne und spannungsreicnen Szenen
prächtig umzusetzen und bot so eine der komplettesten Interpretationen, die
man von ihm bisher hören konnte. Martin Schebesta hatte die Chorleitung
inne. Der Applaus war gewaltig und ganz ohne Regie-Buhs.
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