OperinWien
Dominik Troger
 
Puccini, La fanciulla del West, Wiener Staatsoper, 5. Oktober 2013
 
„Minnie im Wild-West-Container“
 
 
Die erste Staatsopern-Premiere der Saison galt Giacomo Puccinis in Wien lange nicht mehr gespielter „Goldgräber“-Oper „La fanciulla del west“. Vor vollem Haus und zeitversetzt beglücktem Fernsehpublikum wurde ein spannender Opernabend geboten. Der starke Schlussapplaus dauerte rund eine Viertelstunde lang und kam ganz ohne Missfallensbezeugungen aus.

„La fanciulla del west“ ist das Stiefkind unter Giacomo Puccinis Opern-Dauerbrennern. An der Staatsoper wurde das Werk seit 25 Jahren nicht mehr gespielt. Die älteren Semester erinnerten sich im Pausenfoyer mit verklärtem Blick an die Vorstellungen mit Placido Domingo und Giuseppe Taddei vom Frühjahr 1979. Wiener Opernfans leben bekanntlich gerne in der Vergangenheit, dabei hat man sich an der Staatsoper ganz bemüht, das „Mädchen“ in die Gegenwart zu holen. Aber ob sich „Minnie" im Jahr 2013 so richtig wohlfühlt, das wird erst die Zukunft zeigen.

An der Staatsoper hat man jedenfalls nichts unversucht gelassen, diese neue „Fanciulla“ vom „Wild-West-Kitsch“ abzugrenzen, der ihr immer wieder nachgesagt wird: Im Programmheft wird fast gebetsmühlenartig auf dieses angebliche Manko hingewiesen, und betont, dass diese Produktion die soziale Welt mittelloser Minenarbeiter in den Mittelpunkt stelle. Diese Erklärungsversuche wirken ein wenig seltsam, wenn man weiß, dass es durchaus gelungene Produktionen gibt, die das Werk in einem „klassischen“ Wild-West-Milieu ansiedeln. Und so „falsch“ kann das gar nicht sein, denn Puccinis „Goldgräberdrama“ spielt um 1850 in Kalifornien und greift eine Reihe solcher „Wild-West-Klischees“ auf: eine begehrte Frau unter vielen rauschaligen Männern, ein Sheriff, der Banditen jagt, ein Pokerspiel auf Leben und Tod, ein „Räuberhauptmann“, der schon unterm Galgen steht und doch noch gerettet wird, der geläuterte „einsame Cowboy“, der mit seiner Liebsten schließlich in unbekannte Fernen „davonreitet“ et cetera.

Regisseur und Bühnenbildner Marco Arturo Marelli hat hingegen das Schicksal von Menschen in einer Containersiedlung aus dem Libretto herausgelesen: Stacheldraht und eine Gebirgslandschaft im Hintergrund sind das Spannungsfeld, das hier die Figuren begrenzt, die sich in einer nahen Gegenwart beim Goldbergbau abrackern. Gestapelte Container im ersten Akt, im zweiten Akt eine sehr flache, langgestreckte, und einfach ausgestattete Hütte als Minnies Haus, im dritten Akt eine Containerverladestation mit Geleisen und einem Frachtwaggon, boten dem Auge ein nüchtern-trostloses Ambiente, das sich allerdings mit einer sehr guten Personen- und Chorregie belebte.

Die Einzelpersönlichkeiten der Goldgräber wurden charakterstark herausgearbeitet, sogar der dramaturgisch etwas schwache erste Akt hielt fast durchgehend die Spannung. Sheriff Rance wurde auf einen eher brutalen Securitytypen mit ein paar sentimentalen Anwandlungen zusammengestutzt. Minnies Glaubwürdigkeit litt allerdings ein wenig unter der jeansblauen Latzhose und vor allem unter ihren penetrant roten Haaren. (Es wird wahrscheinlich kaum eine Rezension der Aufführung geben, die nicht die Kindergeschichten-Protagonisten Pumuckl und Pippi Langstrumpf zitieren wird.) Was hat diese Minnie als „Schankgehilfin“ einer Imbissbude in diesem männerschweißvernebelten Camp nur verloren? Und dieser Johnson, der seinen Job als Räuberhauptmann geerbt (!) hat, mischte sich mit unbekümmerter Laszivität in das Geschehen, ganz Frauenschwarm und sexy (und es überrascht, dass er nur einen einzigen Tag in seinem brutalen Gewerbe hat überleben können).

Zu allem Überfluss entschwebten im Finale Minnie und ihr Liebster in einem bunten Heißluftballon, flogen hinweg ins Taka-Tuka-Land oder sonst wohin, ein Stilbruch zum grob-funktionalen Bühnensetting, der sich wirklich nur mehr durch Minnies rote Haare erklären ließ. Aber Marelli hat es nicht ironisch gemeint, sondern wollte, wie er in einem Interview im Programmheft zur Aufführung erläutert, ein „poetisches Bild“ für dieses Finale finden. Es waren solche Zuspitzungen, die eine an sich gelungene Umsetzung dann doch in ein etwas „schiefes“ Licht rückten. Auch Minnies „erster Kuss“ zählte dazu, bei dem sie sich mit Dick wie enthemmt auf dem Boden wälzte.

Nina Stemmes dunkler, mit Wagnerkraft ausgestatteter Sopran, imponierte nicht mit Puccini-Lyrismen, dafür aber mit dunkelrot erglühenden Spitzentönen, die sich wie Leuchtraketen über das Orchester legten und die Ensembles dominierten. Die Keuschheit dieses Mädchens, das im Camp „die Hosen anhat“, war etwas „reiferer“ Natur und weniger nachzuvollziehen. Aber Stemmes Minnie konnte als leidenschaftlich empfunden werden, als mitreißend, als im Rahmen dieser Produktion durchaus passende Verkörperung dieser Partie. Authentisch wirkte Tomasz Konieczny in dieser Inszenierung als ungeschliffener Securitymann, kaum Italianita, raubeinig, brutal.

Jonas Kaufmann sang sich bei seiner ersten Staatsopern-Premiere mit seinem kaschmirschmeichelnden, dunklen Baritontenor in die Herzen des Publikums. In den lyrischen Momenten klang die Stimme schon sehr baritonal und nicht sehr durchschlagend, sobald er etwas Kraft hineinlegte, gesellte sich erst der Glanz hinzu, kein Erstrahlen, sondern ein tenoraler Schimmer, wie ein leicht glänzender Farbton, der sich über das satte baritonale Fundament legte. So gelangen Kaufmann schön gerundete, aus einer tieferen Basis herauswachsende Spitzentöne. Im Spiel wirkte er manchmal fast lässig – und der Bandit war nicht so recht auszumachen.

Außer Minnie, Johnson und Rance kennt die Oper eigentlich nur Nebenrollen – und die waren zum Teil sehr gut besetzt, stellvertretend seien Norbert Ernst als Nick genannt oder Boaz Daniel als Sonora.

Doch die Sprödigkeit und Rauheit des Minenarbeiterlebens wurde nicht nur auf der Bühne betont, sondern auch im Orchestergraben, aus dem unter der genauen Sachwalterschaft von Franz Welser-Möst lautstark ein brillanter und kühler, an der Moderne kantig geschliffener „Sound“ ertönte, der mehr an Janacek als an Puccini erinnerte. Das gab dem Abend zwar starke Konturen, vernachlässigte aber das gesangliche Element und ließ den Stimmen zu oft keine Chance, bei den Ohren des Publikums anzukommen.

Fazit: Eine etwas einseitig zugespitzte, aber durchwegs spannende Version von Puccinis „Fanciulla“.

















 
 
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