Salzburger Nachrichten, 07.10.2013
Ernst P. Strobl
 
Puccini, La fanciulla del West, Wiener Staatsoper, 5. Oktober 2013
 
Sittenstrenge Jungfrau: "La fanciulla del West" in Wien
 
 
Giacomo Puccinis selten gespielte Oper "La fanciulla del West" wurde bei der Premiere in der Wiener Staatsoper gefeiert, nicht zuletzt wegen der Besetzung mit Stars wie Nina Stemme und Jonas Kaufmann.
 

Eine Revolverkugel, der Strang, im Wilden Westen ging es oft um Leben und Tod, das konnte schnell gehen und den Falschen treffen. Hunderte von Westernfilmen haben sämtliche Klischees ausgebeutet. Auf andere Art geplündert wurde auch der Komponist Giacomo Puccini, der 1910 an der New Yorker Met die Oper "La fanciulla del West" herausbrachte. "Das Mädchen aus dem Goldenem Westen" war Inspirationsquelle für zahllose Hollywood-Komponisten. Dennoch ist die Oper hierzulande immer eine Rarität geblieben. 25 Jahre ist es her, dass die Wiener Staatsoper sie im Repertoire hatte. Es war ein Wunschstück des Generalmusikdirektors Franz Welser-Möst, der nun allerdings auch fabelhafte Sängerdarsteller zur Verfügung hat. "Fanciulla" ist ein Goldgräbermelodram ohne Vergleich, Puccinis Musik ist ebenso wenig amerikanisch wie seine "Madame Butterfly" japanisch oder "Turandot" chinesisch. Aber dennoch farbenreich, prägnant, charakteristisch und spannend. Wenn auch kein typischer Ohrwurm dabei ist, können Sänger brillieren. Die Gelegenheit nutzten hervorragend Nina Stemme, Jonas Kaufmann und Tomasz Koniecny. Franz Welser-Möst zeigte seine Anteilnahme mit analytischer Schärfe, die in emotionalen Momenten durchaus feurige Leidenschaften freisetzen kann. Mit ihm genoss konzentriert das blendende Staatsopernorchester die Möglichkeiten der schillernden Partitur. Die "Fanciulla"-Premiere am Samstag endete - man möchte fast sagen - erwartungsgemäß in begeistertem Beifall, nicht nur für die Wiener Publikumslieblinge.

Keine billigen Westernklischees
Der Schweizer Regisseur und Ausstatter Marco Arturo Marelli mied die Gefahren billiger Westernklischees, indem er die dramatische Geschichte ins späte 20. Jahrhundert verschob und für das Lager der Goldgräber eine atmosphärische Containerburg errichtete, die den Blick auf idyllische Berge freigab. Minnie betreibt in dieser Mine einen Imbissstand, sie erleichtert das harte Leben der rauen Burschen mit Whiskyspenden, liest zur Hebung der Moral aus der Bibel vor und gibt sogar Schulstunden. Dennoch, kaum ertönt eine Schnulze aus dem Kassettenrekorder, wird die Männerrunde der Glücksucher fern der Heimat sentimental, man sammelt sogar für einen heimwehkranken Kumpel. Einer wird beim Falschspielen erwischt, eine Rauferei muss sein, die der Sheriff Jack Rance zu schlichten hat. Dieser Sheriff ist fest überzeugt davon, Minnie erobern zu können. Der plumpe Versuch mit Geld scheitert, er kämpft nur noch verbissener um die Frau.

Bei Ramerrez wird Minnie schwach
Diese Minnie ist eine Säule der Sittsamkeit, das ändert sich aber. Als der gesuchte Bandit Ramerrez alias Dick Johnson im Lager auftaucht, wird Minnie in Erinnerung an eine frühere Begegnung schwach. Er ist aber auch ein Charmeur, der sogar anfangs die Goldgräber auf seine Seite ziehen kann. Minnie löst beim unfreiwilligen Räuberhauptmann Sehnsüchte nach einem besseren Leben in Unschuld aus. Unschuldig ist zwar auch der erste Kuss in Minnies Behausung, doch die Säule der Sittsamkeit wankt. Die Jagd auf Johnson rückt näher, erst versteckt Minnie ihren Traummann, doch bald darauf muss er angeschossen Zuflucht nehmen bei der vom Sheriff aufgeklärten enttäuschten Frau. Die Schlüsselszene: Der Sheriff entdeckt den waidwunden Banditen, im winzigen Wäschefach versteckt. Doch Minnie kennt seine Spielsucht und schlägt ein Pokerspiel vor: Der Sheriff kann sie und zugleich seinen Gefangenen gewinnen - oder beide verlieren. Minnies Liebe ist größer als die Moral, sie gewinnt mit Tricks.

Rache für Minnie
Es ist nur eine kurze Verschnaufpause für Dick. Die aufgehetzten Minenkumpel legen ihm den Strick um den Hals, nicht weil er Gold gestohlen hat - sondern Minnie. Diese greift nochmals ein, ein bisschen Gewalt und der Appell an die weichen Herzen helfen, das Paar wird entlassen. Marelli entrollt eine Apotheosen-Kitschszene mit buntem Ballon über einer Berglandschaft. Ein Missgriff ist der Kostümbildnerin Dagmar Niefind passiert, die Nina Stemme nicht nur unsexy machte, sondern sie auf Latzhosen-Pumuckl herrichtete. Nina Stemme spielte mit dramatischem Sopran ihre faszinierende Intensität aus. Jonas Kaufmann überzeugte als Edelgauner und mit tenoraler Inbrunst in allen Höhen, Tomasz Koniecny als nicht sonderlich sympathischer Gegenpol. Alle - insgesamt 15 - Nebenrollen waren bestens besetzt, der Chor (Thomas Lang) war gut präpariert.

















 
 
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