Opernwelt, November 2013
Jürgen Kesting
 
Verdi: Don Carlo, Salzburger Festspiele, August 2013
 
Prinzen, Priester, Philosophen
 
Ausschnitt: Antonio Pappano bürgt für "Don Carlo"
 
Dafür toste nach Verdis «Don Carlo» der Applaus. Die Buhs kamen zwei Tage später, in gedruckter Form. Sie richteten sich gegen Peter Steins konventionelle und, mit Blick auf die Kostüme, opulente Inszenierung in Form eines historischen Bilderbogens. Zu Recht? Es mag irritieren, dass die Protagonisten bei ihren Arien, Szenen und Duetten in einem Lichtkegel stehen, aber gerade das kann, wie Carl Dahlhaus einst mit Blick auf Renata Tebaldi als Tosca bemerkte, die dramatische Intensität einer Darstellung steigern. Dass die Bühne für den Disput zwischen Filippo und Posa, den Monolog des Königs und die Auseinandersetzung mit dem Großinquisitor dergestalt aufgeteilt wird, dass man nur in das private Gemach des Königs blickt, ist eine durchaus plausible Chiffre für den Gegensatz des Öffentlichen und des Privaten. Die Irritationen erklären sich aus dem bisweilen zeremoniellen Charakter der Aufführung, die in ihrem historischen Realismus auf viele Kritiker komisch oder anachronistisch wirkte. Die Zuschauer störte das nicht.

Waren sie hingerissen von dem, was es zu hören gab? Antonio Pappano hat eine musikalisch-dramaturgisch triftige Fassung der Oper gefunden: Sie beginnt mit dem aus orchestralen Seufzer-Motiven sich entwickelnden Chor der Holzfäller, der Elisabetta dazu bringt, sich von Carlo zu lösen und, um des Friedens willen, den alten König zu heiraten. Und sie endet mit einer stillen Liebesszene, bevor der Geist Karls V. Carlo in eine bessere Welt holt.

Es gab in der hier besprochenen Aufführung weder Pannen noch Wackler, wie sie nach der Premiere kritisiert wurden, aber die vokale Leistung fiel ungleichmäßig aus. Matti Salminen, in seiner großen Zeit nur selten im italienischen Fach eingesetzt, sang den Filippo mit rau und rissig gewordener Stimme. Im Monolog musste er sich in etlichen Phrasen die Noten zurechtlegen. Zwar nötigte die Intensität seiner Darstellung Respekt ab, doch hätte er besser den Gran Inquisitore gesungen, der von Eric Halfvarson zum belfernden Greis entstellt wurde. Geschickter zog sich der Bass-Veteran Robert Lloyd als Mönch (respektive Karl V) aus der Affäre. Bei Thomas Hampson ist zu spüren, dass er im Herbst seiner Karriere angelangt ist - aber auch in dieser Jahreszeit gibt es goldene Tage. Hampson gehörte nie zu den kraftvollen oder gar schmetternden Verdi-Baritonen. Aber fingieren musste er nie - und muss es auch heute nicht. Er überzeugte im Dialog mit Filippo durch seine Eloquenz, in den Szenen mit Carlo durch seine Autorität, in der Sterbeszene durch seine weitgespannte Phrasierung. Dass exponierte hohe Töne bisweilen matter klingen oder auszufransen drohen, verschlägt wenig.

Für positive Überraschung sorgte die russische Mezzo-Sopranistin Ekaterina Semenchuk: koloratursicher im Schleierlied und energisch konzentriert in ihrer großen Arie, der das «don fatale» einer mörderischen Stretta folgt. Wahrhaft königlich in Liebe und Leid: die nach Erscheinung wie Stimme grandiose Anja Harteros. Ihrem Sopran mögen in einigen Forte-Passagen die Energiereserven eines echten Spinto fehlen, doch sie bannt mit ihren Pianissimi, die nicht nur sinnlich berückend klingen, sondern auch seelisch berührend - gerade im langen Monolog des fünften Akts. Einen ebenbürtigen Partner fand sie in Jonas Kaufmann, der die Gebrochenheit und Verletzlichkeit des prinzlichen Träumers und Rebellen mit größter Intensität
darzustellen verstand - bewegend in zart lyrischen Phrasen, voller Glut in den Freundschafts- und Liebesszenen und stimmlich souverän auch bei den vielen dramatischen Ausbrüchen dieser langen und schwierigen Partie. Schließlich: Wenn es eine Palme zu überreichen gäbe, sie ginge an Antonio Pappano.















 
 
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