Mannheimer Morgen, 22.8.2013
Markus Thiel
 
Verdi: Don Carlo, Salzburger Festspiele, 13. August 2013
 
Der Opern-Höhepunkt des Sommers
 
Salzburger Festspiele: Regie-Veteran Peter Stein inszeniert Giuseppe Verdis „Don Carlo“ glanzvoll mit Jonas Kaufmann und Anja Harteros im Großen Festspielhaus
 
Chroniken angekündigter Erfolge gehen genau so. Ein tiefer Griff in die Singstarkiste. Ein Regisseur, dessen letzte Publikumsverstörung Jahrzehnte zurückliegt. Und ein Dirigent, der den "Don Carlo" förmlich eingeatmet hat, mit seinem Wissen und seiner Begeisterung selbst die Routiniers von den Wiener Philharmonikern ansteckt.

Naserümpfen ließe es sich leicht über diese Verdi-Sahnetorte, die da von den Salzburger Festspielen angerichtet und erwartungsgemäß bejubelt wurde - der Opernhöhepunkt des Sommers, gemessen allein an der Klunker-, Fliegen- und Betonfrisurendichte. Doch vergessen wird bei solch Lästereien gern: Wenn man auf eine hohe Einnahmequote angewiesen ist, muss Hochkalorisches eben auch sein. Und nur ein Arrangement, in edler Einfalt als stille Größe gruppiert, das griffe bei der Inszenierung von Peter Stein zu kurz. Historisierendes, auch wenn Kostümbildnerin Annamaria Heinreich mit Hingabe Altspanisches in Samt und Brokat bauschen lässt, riecht nicht automatisch nach Mottenkugeln.

Es gibt Bedenkenswertes, Berührendes an diesem Abend. Meist spielt sich das im allzu menschlichen Bereich ab, etwa bei Philipp II. Ein ausgebrannter Monarch. Innerlich hat er längst abgedankt und - im Falle von Matti Salminen - leider auch stimmlich: Was für ein verdienter Solist, diese Premiere hätte er sich nicht mehr antun dürfen.

Oder man nehme Posa als inniglich geliebter Ersatz-Sohn für den Monarchen, als väterlicher, auch homoerotischer Freund für den Titelhelden. Viel Körperkontakt zu Carlos gibt es bis zur Männer-Pietá am Ende. Momente, in denen auch Thomas Hampson sein Kammersängergehabe vergisst, Singen nicht nur ausstellt, sondern die unüberhörbaren Grauwerte seines Baritons in Ausdruck ummünzt. Überhaupt der Infant: Bei Jonas Kaufmann ist er ein Twen, der nie im Leben ankommen wird. Ein großes, unverstandenes Kind, nicht für diese Realität bei Hofe gemacht. Die Spitzentöne, saft- und prachtvoll abgefeuert, die markige Kraft, die gespannten Stimmbandbizeps - alles Klang gewordenes Testosteron.

Ob das Rollenporträt sein Werk ist oder das Peter Steins? Vom Zerwürfnis zwischen Tenor und Regisseur wird erzählt. Unter 40 Prozent soll Kaufmanns Probenteilnahme betragen haben, von Stein dementsprechend ätzend kommentiert - Machos im Zickenkrieg-Modus. Von der blutigen Gewalt, auf die sich das Reich Philipps II. (und der Kirche) gründet, wird in diesen fünf Stunden nur gesungen. Das Volk in Akt eins ist in malerische Lumpen gewandet, und wenn es später an die Ketzerverbrennung geht, dann geschieht das vor schönem Flammenvideo und Trockeneis: Gerade das, was Steins Ästhetizismus übergeht und ausblendet, sagt viel über die (Nicht-) Haltung dieses Regisseurs aus.
Alles in perfekter Balance

Hohe Schauwerte, kühl, keim- und schmerzfrei. Weit stehen da die Tore offen für die Musik: Ekaterina Semenchuk nutzt das für eine genau ausgesteuerte Eboli, Eric Halfvarson (Großinquisitor) für seine Bassorgel und Anja Harteros für eine Elisabetta, die ihresgleichen sucht: Kontrolle und Emphase, alles in perfekter Balance.

Sträflich, dass der Mann im Graben erst jetzt sein Salzburger Operndebüt feiert. Antonio Pappano denkt Verdis Spätstück vom Frühwerk her: zügige Tempi, enorme Reaktionsstärke und Schnellkraft, flotte Wechsel von Atmosphäre und Ausdruck. Alles ist mit viel Substanz gespielt und überzogen von jener dunklen Firnis, die den "Don Carlo" zum Musikdrama macht.















 
 
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