Tiroler Tageszeitung, 15.08.2013
Von Jörn Florian Fuchs
 
Verdi: Don Carlo, Salzburger Festspiele, 13. August 2013
 
Rampentheater ohne wahre Emotion
 
Peter Stein verzwergt Giuseppe Verdis „Don Carlo“ in Salzburgs Großem Festspielhaus.
 
Salzburg – Ausnahmsweise wollen wir uns einmal kurz in die Untiefen des Boulevards versenken. Jonas Kaufmann und Peter Stein hatten Krach, weil der Startenor sich vom Starregisseur kaum etwas sagen ließ und offenbar nur einem begrenzten Teil der Proben beiwohnte. Peter Stein wollte mehrfach das Handtuch werfen, da verabredete Probentermine kurzfristig abgesagt wurden und Etliches bei der technischen Disposition nicht funktionierte.

Dies ist nur winziger Teil der momentan eifrig ventilierten Gerüchte. Sie sind tatsächlich spannender als die Bühnenwirklichkeit. Denn über die künstlerische Qualität der aktuellen „Don Carlo“-Premiere braucht man eigentlich kaum Worte zu verlieren. Peter Stein versucht sich an einer possierlichen Nachbuchstabierung von Verdis monumentaler Oper – und scheitert dabei beinahe vollständig.

Es ist prinzipiell ja überhaupt nichts dagegen einzuwenden, die zwischen Liebesgeschichte und Politdrama changierende Handlung (frei nach Schiller) in historisierenden Kostümen (Annamaria Heinreich) und simpel abstrakten Bühnenräumen (Ferdinand Wögerbauer) zu erzählen. Doch reicht es beileibe nicht aus, den politischen Kontext durch aufmarschierend­e Fahnen- und Wimpel­träger anzudeuten und die tragische(n) Amour(en) als statisches Rampentheater in Szene zu setzen.

Fast nie erlebt man wirkliche Emotionen zwischen den Akteuren. Jonas Kaufmann schluchzt sich durch die anstrengende Carlo-Partie mit stupender Ausdauer, intoniert jedoch bisweilen unpräzise, Anja Harteros’ Elisabetta ist ein Augen- und Ohrenschmaus, Ekaterina Semenchuks Eboli wandelt sich im Laufe des Abends vom schrillen Pluderkleid-Mädchen zur nicht nur vokal reifen Dame. Dafür grummelt sich Matti Salminen unsauber durch die Partie des alten Königs, der seinen Sohn (nicht nur) aus Eifersucht hinrichten lassen will und sich dafür Absolution vom Großinquisitor (solide: Erik Halfvarson) erhofft.

Die Beziehung zwischen Carlo und dem Marquis Posa (ein Schatten seines früheren Selbst: Thomas Hampson) trieft nur so vor Pathos und Kitsch, Massenszenen geraten oft unfreiwillig komisch, in den ersten drei Akten stimmt meist das Timing nicht. Am Ende des vierten Akts regelt Peter Stein den Erregungspegel wiederum derart hoch, dass das ruhige, traurige Finale kaum mehr Wirkung zeitigt. Völlig lächerlich ist das Schlussbild: Carlo wird vom aus dem Totenreich zurückgekehrten Kaiser Karl V. entrückt – wie ein­e Jahrmarktsfigur schießt Robert Lloyd in groteskem Goldornat aus seiner Gruft und orgelt ein paar unverständliche Töne.

Das berühmte Autodafé hätte so auch nicht über die Bühne gehen dürfen. Die armen Ketzer sind in Kutten gehüllt und mit Spitzhüten versehen, sie stehen auf einem Scheiterhaufen, den Video­flammen umhüllen. Vorne erzeugt eine Nebelmaschine nicht nur Nebel, sondern macht vor allem Krach. Ein Spitzhut schaut kurz vor dem Fallen des Vorhangs um die Ecke um nachzuschauen, ob selbiger wohl bereits gefallen ist …

Im Orchestergraben sitze­n – laut Programmheft – die Wiener Philharmoniker. Sie wurden von Antonio Pappano präpariert, der ein Fachmann nicht nur für Verdi ist (man gibt übrigens den italienischen „Don Carlo“, samt Fontainebleau-Akt und mehreren sonst eher selten zu hörenden Nummern). Musiziert wird ungenau und laut, die Koordination zwischen Orchester, Chor und Solisten wackelt häufig. Gerade beklagte das Wiener Edelorchester, dass es sich in Salzburg irgendwie unterrepräsentiert fühle. In allen drei bisherigen Opernproduktionen – „Falstaff“, „Meistersinger“ und jetzt „Don Carlo“ – blieben die höchstbezahlten Musiker deutlich unte­r den Erwartungen. Ein Gegenvorschlag: Wie wäre es, wenn die Wiener einen Festspielsommer lang mal daheim musizierten oder einfach in die Sommer­frische führen?

Und Peter Stein produziert seit einiger Zeit auf seinen italienischen Landgütern ja feinstes Olivenöl, dieses Hobby sollte er dringend weiter ausbauen und zum Hauptberuf machen.















 
 
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