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SWR, Kulturthema, 14.8.2013 |
Christine Irrgarten |
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Verdi: Don Carlo, Salzburger Festspiele, 13. August 2013 |
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Großes Drama um politische Größe und menschliche Niedertracht
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Christine Irrgarten über Peter Steins Neuinszenierung von Verdis
"Don Carlo" gestern Abend bei den Salzburger Festspielen |
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Der eigentliche erste Akt fand noch vor Beginn der Oper statt: das Defilée
der Reichen und Schönen in farbenprächtigen Abenddirndln und großen Roben -
dass man die solariumsgebräunte Kleidergröße 34 leider oft mit welker Haut
bezahlt, das nehmen die reiferen Damen der Salzburger Haute Volée offenbar
bereitwillig in Kauf. Kein Vergleich mit der Würde der spanisch inspirierten
Renaissancegewänder, die Annamaria Heinrich für die Aufführung eigens hat
herstellen lassen. Denn auch bei Peter Stein spielt die Oper - wie übrigens
die meisten "Don Carlo"-Inszenierungen - im 16. Jahrhundert. Dabei sucht der
Regisseur das Gleiche wie sein Kollege im Orchestergraben, Antonio Pappano:
"Die Wahrheit! Ob das konventionell, modern, contemporary, das interessiert
mich nicht so viel. Aber dass die Energie und das Musikalische und
Theatralische da ist, das ist wichtig."
Der Ästhet Peter Stein nutzt
vom ersten Bild an die grandiose Wirkung der Salzburger Cinemascope-Bühne.
Wenige Requisiten reichen aus, den Rest besorgt farbiges - oft blaues -
Licht - Symbol für die Kälte und Lieblosigkeit am spanischen Hof. Matti
Salminen, inzwischen bald 70, gibt einen König Philipp, der in all seiner
Machtfülle völlig vereinsamt ist. Was dem finnischen Bassisten mittlerweile
vielleicht an Stimmgewalt fehlt, das macht er durch Ausdruckskraft wett. Und
wehe, wenn er flüstert - das erzeugt sofort Gänsehaut.
Ganz anders
tritt der Marquis von Posa auf. "Also der Hampson, der ist ja enttäuschend",
nölt schon in der ersten Pause eine Dame in breitestem Österreichisch - und
sie hat leider nicht ganz Unrecht. Ausgerechnet Thomas Hampson, der subtile
Liedinterpret, setzt in dieser Rolle fast ausschließlich auf die große
Röhre. So wirkt er nicht wie ein Edelmann, sondern fast ein bisschen
ungeschlacht. Wie viel Ausdruck man dagegen in eine einzige Silbe legen
kann, das zeigt die junge Elisabeth, als sie um des politischen Friedens
willen der Ehe mit dem greisen König von Spanien zustimmt. Selten hat ein
"Ja" so hoffnungslos und abgrundtief einsam geklungen. Überhaupt ist Anja
Harteros in zweifacher Hinsicht die Königin des Abends.
Sie
portraitiert die Elisabeth als eine warmherzige, fromme aber auch sehr
pflichtbewusste Frau. Dabei reicht ihre Ausdruckspalette von lyrisch-zart
über voll und strahlend bis hin zu etwas Stählernem - eines so authentisch
wie das andere. Auch Elisabeths Gegenspielerin, die charismatische
Prinzessin Eboli, braucht eine wandlungsfähige Darstellerin. Ekaterina
Semenchuk wird von der Liebenden zur Rächerin und schließlich zur reuigen
Sünderin und scheut dabei - ganz in Verdis Sinne - auch vor hässlichen
Klangfarben nicht zurück. Wie gesagt: auf Wahrhaftigkeit kommt es an.
Bleibt noch der Titelheld, Carlo, ein Getriebener, ein neurotischer
Mensch ohne inneren Halt, ein Hysteriker, liebeshungrig aber sexuell
verunsichert.
Jonas Kaufmann lässt seinen Carlo die Hände in den
Hosentaschen versenken oder hilflos gestikulieren, er fällt ungeschickt über
Elisabeth her und schleudert seinem Vater tödliche Wahrheiten ins Gesicht.
Vielleicht ist es also Absicht, wenn die leisen, zärtlichen Passagen am
wenigsten überzeugen - zu größter Form läuft Kaufmann als Verzweifelter auf.
Denn auch das ist eine Botschaft diese Oper: keine zwischenmenschliche
Beziehung funktioniert auf lange Sicht.
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