Drehpunkt Kultur, 14. August 2013
VON HEIDEMARIE KLABACHER
 
Verdi: Don Carlo, Salzburger Festspiele, 13. August 2013
 
Sie hat ihn nie geliebt. Wen wundert's
 
Warum König Filippo überhaupt auf die Idee gekommen ist, die Prinzessin Elisabetta könnte ihn je geliebt haben, wird für immer ein Geheimnis der Operngeschichte bleiben: Hat er ihr doch den versprochenen Infanten Don Carlo vorenthalten und sich ihr selbst aufgedrängt.
 
Warum König Filippo überhaupt auf die Idee gekommen ist, die Prinzessin Elisabetta könnte ihn je geliebt haben, wird für immer ein Geheimnis der Operngeschichte bleiben: Hat er ihr doch den versprochenen Infanten Don Carlo vorenthalten und sich ihr selbst aufgedrängt.

Immerhin verdanken wir diesem seltsamen Beispiel männlichen Denkens und Fühlens auch eine der bewegendsten Szenen und Arien der Operngeschichte: „Amor per me non ha!“ Armer alter König, scheinbar grenzenlos mächtig, der sich die junge Prinzessin gekrallt hat – und wider jede Vernunft, auf Gegenneigung hofft…

Die Festspiele haben im Verdi-Jahr 2013 die so absurden und gerade deswegen so tief menschlichen Beziehungen und Verstrickungen in Giuseppe Verdis Oper „Don Carlo“ in Erinnerung gerufen. Und zwar in voller Länge in der Originalfassung für die Pariser Oper. Also inklusive Fontainebleau-Akt (ohne den die Geschichte ohnehin nicht wirklich nachvollziehbar ist) und noch so manchem, was im Laufe der Musikgeschichte aus der übergroßen „Grand opéra“ herausgestrichen wurde – von mitleidigen Dramaturgen, die das Publikum und dessen Sitzfleisch dauerte. So gnädig war man bei den Festspielen heuer nicht.

Antonio Pappano leitet die Wiener Philharmoniker. Sie bescheren vor allem in den Instrumentalsoli, wie etwa im Cello-Solo zu Filippos großer Arie, und in den Bläserpassagen strahlende musikalische Augenblicke. Sie ziehen sich im Gutteil der Aufführung aber auf einheitlich verlässlichen philharmonischem Schönklang zurück. Es geht natürlich auch ganz anders, durchgestaltet, dynamisch und urmusikantisch: Grandios emphatisch und mit mitreißendem gestalterischem Impetus begeleitet haben die Wiener Philharmoniker unter Pappano etwa die große Szene zwischen Filippo und Rodrigo – dem Marquis Posa – der dem König die erschütternde Lage der Menschen in Flandern schildert. Das war – allein schon vom Orchester her - Große Oper im besten Sinne des Wortes, wie auch die grandiose Szene Elisabettas vor dem Grabmal Karl V. im letzen Akt oder das Abschiedsduett zwischen Elisabetta und Don Carlo.

Das Ensemble dieser Festspielproduktion ist handverlesen: Thomas Hampson spielt die Rolle des Rodrigo Posa mit bewegender Überzeugungskraft, bei größter Zurückhaltung mit dem Auftreten und dem Gestus des wahren Grandseigneurs. Er singt die Partie mit jener Souveränität, die diesen Jahrhundertsänger immer ausgezeichnet hat. (Keine Spur von Lagenbrüchen oder Problemen in der Höhe, mit denen man Hampson schon kämpfen erlebt hat.) Mit diesem Darsteller im Team müsste die Oper eigentlich „Don Rodrigo“ heißen.

Jonas Kaufmann fasziniert in der Titelrolle zwar wie immer mit seiner Präsenz, blieb aber bei der Premiere – und das ist durchaus auch rollenbedingt, denn der Infant ist eine etwas unreife zerrissene Figur – darstellerisch und sogar sängerisch ein wenig im Schatten seines älteren Freundes und Gefährten Rodrigo.

Matti Salminen vermittelt in der Partie des König Filippo II. eindrücklich, welche innere Spannung diesen Tyrannen schier zerreißt – mit profunder Tiefe und bewegend schönem Timbre. Ein Erlebnis ist der Auftritt von Eric Halfvarson, ein wahrhaft „schwarzer Bass“ für den mehr selbst- als gottgerechten Großinquisitor. Ekaterina Semenchuk, die Eboli dieser Produktion, schien bei ihrem berühmten Schleierlied mit den Hofdamen eher darauf bedacht, mehr sich selbst, als die Musik zu produzieren. Sie überzeugte aber beim Ball und beim Geständnis ihrer intriganten Machenschaften gegenüber der Königin als wahrhaft liebende – und damit auch als wahrhaft eifersüchtige und hassende – Frau.
Die sängerischen und darstellerischen Höhepunkte dieser Aufführung sind Anja Harteros in der Rolle der Prinzessin und späteren Königin Elisabetta zu verdanken: Elegant und edel, natürlich und zurückhaltend ist ihre Darstellung; strahlend klar in allen Lagen, leicht und beweglich in der Höhe, geschmeidig und klangschön auch in der Dramatik ist ihre Stimme. Ihr Gebet und das Duett mit Carlo im fünften Akt gehören zu den bewegendsten und überzeugendsten Augenblicken der gesamten überlangen Produktion.

Ja – und Peter Stein hat inszeniert. Kann man einem Peter Stein, der in Salzburg Regie-Geschichte geschrieben hat, ernstlich für etwas böse sein? Geht fast nicht. Zudem die aktuelle Produktion aussieht, als hätten Regie und Ausstattung - Bühnenbild Ferdinand Wögerbauer - den strengen Wink bekommen, ein wenig auf’s Geldsäckl zu schauen. Kostbar wirken immerhin die Kostüme von Annamaria Heinreich, vor allem Elisabettas Roben. Aber auch die Herren sind schmuck und ritterlich gewandet.

Peter Stein hat die überdimensionale Bühne des Großen Festspielhauses zwar bis in die jeweils letzten Winkel hinein geöffnet, dann aber großzügig leer, und die Protagonisten meist händeringend darin herum stehen lassen. Zwei gefällte Baumstämme vor weißem Hintergrund deuten den Wald von Fontainebleau an, in dem Don Carlo und Elisabetta sich kennen- und lieben lernen, und glauben, verlobt und ewig selig sein zu dürfen. Der Kreuzgang im Kloster von San Yuste, einem zentralen Schauplatz großer Gefühle und noch größerer Verzweiflung, besteht aus weißen Spanplatten. Wirklich schön ausgestattet ist die große Eboli-Szene mit einem schlichten großen - von Blättern kühl überschattetem - Brunnenbecken.
Dass dieses Produktionsteam keinen horror vacui kennt, zeigt besonders das Setting rund um das Autodafé – die Ketzerverbrennung – im dritten Akt: Es besteht vor allem aus einer aus dünnen Latten zusammengezimmerten Tribüne. Weniger ist in der Ausstattung meist mehr, stimmt schon. Wenig kann aber auch gar wenig sein. Und warum müssen die Mönche und Priester die armen Verurteilten mit ihren Kreuzen bedrohen und pieksen? Und warum sind Indianer und Inder und Vertreter anderer indigener Völker im Festzug zur Ketzerverbrennung? Hat wohl mit Spaniens Kolonialpolitik zu tun. Die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor rennt als „Volk“ zunächst gescheucht herum, muss sich dann aber in klassischer Choraufstellung zum - diesmal eher undifferenziert lauten - Singen an die Rampe begeben.

Das Arbeitszimmer König Filippos, in dem immerhin dessen große Verzweiflungsszene und die dramatische Auseinandersetzung mit dem Großinquisitor stattfinden, wirkt mit aufgemalten blauen Fließen (von wegen kostbarer Azulejos) wie das Putzkammerl im Nasszellentrakt des Palastes. Die „Gruft des Escorial“, die Filippo hier besingt, kann nicht trostloser sein. Der stärkste Tiefschlag fürs Auge ist freilich das Gartenfest – auf dem Elisabetta sich verkrümeln will und ihre Maske ausgerechnet mit der Eboli tauscht, die in den Infanten ihrerseits schwer verliebt ist: Diesen ebenfalls zentralen Schauplatz unterteilen Stein/Wögerbauer mit Absperrungsbändern, wie die Aufmarschzone der Touristen vor einem ÖBB-Schalter.

Der geheimnisvolle Mönch, von dem man nie weiß, ob er jetzt ein echter alter Klosterbruder ist oder der verkleidete und verborgen noch lebende Karl V. (also Filippos Vater und Carlos Großvater) oder gar der Geist desselben: Er kommt – und Robert Lloyd leiht ihm dazu die profunde Stimme - in diesem neuen Salzburger „Don Carlo“ wie der bronze-gewordene Komtur im „Don Giovanni“ aus der Gruft. Er fährt mit dem Titelhelden bei Verdi aber nicht in die Hölle, sondern enthebt ihn des irdischen Lebens. Auch kein schlechter Schluss.
Weitere - allerdings ausverkaufte - Vorstellungen bis 28. August















 
 
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