OVB online, 16.08.13
 
Verdi: Don Carlo, Salzburger Festspiele, 13. August 2013
 
Aber bitte mit Sahne
 
Salzburger festspiele Opernhöhepunkt: Peter Stein inszenierte, Antonio Pappano dirigierte im Großen Festspielhaus Verdis „Don Carlo“
 
Chroniken angekündigter Erfolge gehen genau so. Ein tiefer Griff in die Singstar-Kiste. Ein Regisseur, dessen letzte Publikumsverstörung Jahrzehnte zurückliegt. Und ein Dirigent, der den „Don Carlo“ förmlich eingeatmet hat, mit seinem Wissen und seiner Begeisterung selbst die Routiniers von den Wiener Philharmonikern ansteckt. Naserümpfen ließe es sich leicht über diese Verdi-Sahnetorte, die da von den Salzburger Festspielen angerichtet und erwartungsgemäß bejubelt wurde – der Opernhöhepunkt des Sommers, gemessen allein an der Klunker-, Fliegen- und Betonfrisurendichte.

Doch vergessen wird bei solch Lästereien gern: Wenn man auf eine hohe Einnahmequote angewiesen ist, muss Hochkalorisches eben auch sein. Und nur ein Arrangement, in edler Einfalt als stille Größe gruppiert, das griffe bei der Inszenierung von Peter Stein zu kurz. Historisierendes, auch wenn Kostümbildnerin Annamaria Heinreich mit Hingabe Altspanisches in Samt und Brokat bauschen lässt, riecht schließlich nicht automatisch nach Mottenkugeln.

Es gibt also schon Bedenkenswertes, Berührendes an diesem Abend. Meist spielt sich das im kleinen, im allzumenschlichen Bereich ab, etwa bei Philipp II. Ein gebeugter, ausgebrannter Monarch ist das, ein müder, schwerer Mann. Innerlich hat er längst abgedankt und – im Falle von Matti Salminen – leider auch stimmlich: Was für ein verdienter Solist, diese Premiere hätte er sich freilich nicht mehr antun dürfen.

Oder man nehme Posa, eine Figur zwischen allen Stühlen und Fronten. Als inniglich geliebter Ersatz-Sohn für den Monarchen, als väterlicher, auch homoerotischer Freund für den Titelhelden. Viel Körperkontakt zu Carlo gibt es bis zur Männer-Pietá am Ende. Momente, in denen auch Thomas Hampson sein Kammersängergehabe vergisst, Singen nicht nur ausstellt, sondern die unüberhörbaren Grauwerte seines Baritons in Ausdruck ummünzt. Überhaupt der Infant: Bei Jonas Kaufmann ist er ein Twen, der nie im Leben ankommen wird. Die Gefühlswelt ist aus dem Lot. Ein großes, unverstandenes Kind, nicht für diese Realität bei Hofe gemacht. Dazu passt, dass Kaufmann kaum auf dezente Stilistik setzt. Mehr noch als in „normalen“ Musentempeln kann er im Großen Festspielhaus aufdrehen. Die Spitzentöne, saft- und prachtvoll abgefeuert, die markige Kraft, die gespannten Stimmbandbizeps – alles Klang gewordenes Testosteron. Später kratzt es, egal: So glaubhaft wie als Carlo ist Kaufmann fast nie. Ob das Rollenporträt sein Werk ist oder das Peter Steins? Vom Zerwürfnis zwischen Tenor und Regisseur wird erzählt. Unter 40 Prozent soll Kaufmanns Probenteilnahme betragen haben, von Stein dementsprechend ätzend kommentiert – Machos im Zickenkrieg-Modus.

Wo es allerdings um mehr geht als ums Intime, hat der Abend offene Flanken. Von der blutigen Gewalt, auf die sich das Reich Philipps II. (und der Kirche) gründet, wird in diesen fünf Stunden nur gesungen. Das Volk in Akt eins ist in malerische Lumpen gewandet, und wenn es später an die Ketzerverbrennung geht, dann geschieht das vor schönem Flammenvideo und hinter viel Trockeneis: Gerade das, was Steins Ästhetizismus ausblendet, sagt viel über die (Nicht-)Haltung dieses Regisseurs aus. Typisch, dass er die Cinemascope-Bühne von Ferdinand Wögerbauer oft zum Kammerspielort verkleinern lässt. Bis hin zum kleinen, gekachelten Kabinett, der letzte Rückzugsort des Königs. Monumentale Elemente beherrschen dafür die großen Szenen. Arkadengänge, Holztribüne, die kniende Goldstatue auf dem Grabmahl Karls V., an der Robert Lloyd als leibhaftiger Kaiser erscheint. Massenszenen gibt es nur als eingefrorenes Tableau. Hohe Schauwerte, kühl, keim- und schmerzfrei.

Weit stehen da die Tore offen für die Musik, die sich unbehelligt von Regie-Ambition Raum erobert. Ekaterina Semenchuk nutzt das für eine undämonische, genau ausgesteuerte Eboli, Eric Halfvarson (Großinquisitor) für seine Bassorgel und Anja Harteros für eine Elisabetta, die ihresgleichen sucht. Singen wie die Quadratur des Kreises: Kontrolle und Emphase, Kraftdosierung und Loslassenkönnen, alles in perfekter Balance. Von einem Klangtrauerflor ist diese Königin umhüllt. Dass die Harteros eine genuin lyrische Stimme hat, ist gerade im Großen Haus zu hören. Klug, dass sie sich davon nicht verführen lässt. Nur ein paar Mal tönt es leicht forciert – auch ihre Saison war offenbar lang und schwer.

Sträflich, dass der Mann im Graben erst jetzt sein Salzburger Operndebüt feiert. Antonio Pappano denkt Verdis Spätstück vom Frühwerk her: zügige Tempi, enorme Reaktionsstärke und Schnellkraft, flotte Wechsel von Atmosphäre und Ausdruck, manchmal knallige Akzente. Und doch ist alles mit viel Substanz gespielt und überzogen von jener spezifischen „Tinta“, jenem dunklen Firnis, der den „Don Carlo“ zum Musikdrama macht. Bestechend, wie tief Pappano ins Werk eingedrungen ist, wie er Sänger, Wiener Philharmoniker und den oratorisch gestaltenden Wiener Staatsopernchor führen und überzeugen kann – besser ist Verdi derzeit live kaum zu hören.

Pappanos fünfaktige „Don Carlo“-Version ist dabei eine Promenadenmischung: der erste Aufzug fast durchgehend französische Urfassung, freilich auf Italienisch, das meiste danach, bis auf zwei Stellen, dann die spätere Mailänder Überarbeitung. Kein Wort darüber im teuren Programmheft. Manchmal gibt es Wichtigeres in Salzburg als die Musik.















 
 
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