BR Klassik, 14.08.2013
Volkmar Fischer
 
Verdi: Don Carlo, Salzburger Festspiele, 13. August 2013
 
Premierenkritik "Don Carlos" in Salzburg
 
 
Jonas Kaufmann und Anja Harteros hatten die Hauptrollen in der Salzburger Verdi-Neuinszenierung "Don Carlos". Regie führte Altmeister Peter Stein, am Pult der Wiener Philharmoniker stand Antonio Pappano.

Ist das eine gute Quote, wenn man sich über eines von acht verschiedenen Bühnenbildern Gedanken zu machen aufgefordert sieht? Das Arbeitszimmer des Königs überrascht diesmal durch seine Enge, auch durch unschöne Fliesen an den Wänden, in hellem Blau. Fast meint man mit einem gefängniszellenartigen Bereich des Palasts konfrontiert zu sein, als wäre schon die Szene für den Tod des Rodrigo an der Reihe. Aber nein, es stimmt natürlich: Philipp der Zweite fühlt sich um jeglichen Lebenswillen gebracht, von der abweisenden Kälte seiner Gemahlin einerseits, vom übermächtigen Gegenspieler namens Großinquisitor andererseits. Eine pointiert-aussagekräftige Szenerie ist das also im Rahmen eines ansonsten symmetrieverliebten, ästhetizistisch-manierierten Kostümfests zwischen stilisierten Fassaden und Fenstern.

Stereotypes Rampentheater
Aber seien wir ehrlich: Die historisch präzise um das Jahr 1560 verortete Geschichte über Krone und Kirche, Politik und Privatsphäre, über die Geschichte vom spanischen Infanten und seiner aussichtslosen Liebe zur Gemahlin Philipps des Zweiten, seines Vaters: Selbst ein Altmeister des Regietheaters, Peter Konwitschny, hat diese Bühnenhandlung vor zwölf Jahren ziemlich konventionell in Szene gesetzt. Natürlich gab es bei ihm ein ironisch als Slapstick-Pantomime daherkommendes Spießeridyll beim Ballett, natürlich auch ein brisant aktualisiertes Autodafé, aber drei von vier Stunden Musik hat selbst Konwitschny im Verdi-Jahr 2001 in Hamburg kreuzbrav nacherzählt. Im Verdi-Jahr 2013 in Salzburg wählt Peter Stein ebenfalls die fünfaktige Fassung des "Don Carlos", mit Fontainebleau-Akt, wenn auch nicht das französische Original, sondern die italienische Version, ohne Ballett. Anders als bei Konwitschny herrscht bei Stein stereotypes Rampentheater vor, nicht über drei, sondern vier Stunden, also den lieben langen Abend lang. Es wird viel herumgestanden, die Sänger brauchen gute Schuhe.

Spätsommerlich milder Klang
Im Autodafé zeigt sich diesmal, dass ein Dirigent keinen Taktstock braucht, um komplexe Massenszenen mit größter Präzision zu bewältigen. Jedenfalls wenn Chor und Orchester so blendend aufgelegt sind wie die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor und die Wiener Philharmoniker an diesem Abend. Den willigen Kollektiven entlockt Antonio Pappano einen spätsommerlich anmutenden, warm und milde gestimmten Klang. Die Adaption Schillers leuchtet als Verdis frühestes, lebensweises Alterswerk. Kaum eine Instrumentationsraffinesse, über die der Hörer nicht informiert werden würde.

Ovationen für die Königin des Verdi-Gesangs
Jonas Kaufmann setzt erfreulich selten darauf, in der Titelpartie die seelische Zerbrechlichkeit eines sentimentalen Jünglings durch kehlig-gutturale Laute zu signalisieren (wie er es in anderen Rollen zuletzt viel zu oft tut). Sobald der Tenor vokal die Muskeln spielen lässt, findet er zu stattlicher Eloquenz, die nirgends in Effekthascherei umschlägt. Als Rodrigo argumentiert Thomas Hampson wohlüberlegt für die Rettung Flanderns, bietet eine Balance zwischen pulsierender Energie und flexibler Eleganz. Was es bedeutet, einer Rolle das Antlitz eines von Vereinsamung gezeichneten Lebensgebirges zu geben: Das sieht man bei Matti Salminen, der als Philipp weiß, was er seiner seit rund fünfzig Jahren aktiven Stimme noch abverlangen kann. Die eifersuchtsgeplagte Eboli der Ekaterína Semenchúk überzeugt vor allem dadurch, dass sie ihren üppigen Mezzosopran nie ordinär ins Feld führt. Verdis Wunsch, Gesang in der Oper möge immer ein sinnlich-glühender Spiegel der Seele sein, beherzigt die hochfeminine Elisabeth der Anja Harteros: Immense Klangfülle geht bei ihr mit einer vielfältig schattierten Höhe einher, auch mit endlos gespannten Atembögen. So gab es Ovationen gestern in Salzburg nicht zufällig vor allem für La Regina, die Königin des aktuellen Verdi-Gesangs.















 
 
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