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nmz und
Deutschlandradio Kultur, 14.08.2013 |
Von Frieder Reininghaus |
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Verdi: Don Carlo, Salzburger Festspiele, 13. August 2013 |
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Feiner Schleier des Melancholischen
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Verdis "Don Carlo" bei den Salzburger Festspielen |
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Musikalisch ein Traum, szenisch eine derbe Enttäuschung: Antonio Pappano und
Peter Stein präsentieren Verdis „Don Carlos“ bei den Salzburger Festspielen
„Don Carlos“ ist ein emphatisches, schreckliches, tragisches, trauriges,
komplexes und jedenfalls langes Werk. Als es am 11. März 1867 an der Opéra
zur Uraufführung gelangte, hatte Verdi bereits mehrere Passagen der
ursprünglichen Partitur herausgekürzt oder umgearbeitet, damit die
Premierenbesucher aus dem Pariser Umland die letzten Züge noch erreichen
konnten. Auch in den folgenden Jahren entstanden von der Hand oder unter den
Augen des Meisters mehrere weitere, v.a. italienische Versionen – in der
Regel mit der Intention, das für mediterrane Verhältnisse allzu ausufernd
erscheinende Werk zu straffen.
Antonio Pappano dirigierte nun im
Wesentlichen die mit italienischem Text unterlegte Pariser Version, ergänzt
um einige Einschüben aus dem Kontingent der während der Endproben
gestrichenen Passagen. Dass der Fontainebleau-Akt nun auch in Salzburg
gespielt wird, wie zuletzt in Peter Konwitschnys Inszenierung (Hamburg 2001,
übernommen an die Staatsoper Wien) macht durchaus Sinn, auch wenn die
Aufführung fast fünfeinhalb Stunden dauert. Ja, bei etwas genauerer Kenntnis
der Materie ist inzwischen schwer vorstellbar, dass einer der amputierten
Fassungen wieder der Vorzug gegeben würde: Der ausführliche Blick auf die
Landbevölkerung, die vom harten Winter und härter noch von einem nicht enden
wollenden Krieg heimgesucht wird, der den Frauen die Männer und den Müttern
die Söhne raubt, ist konstitutiv für das Verständnis der Figur jener jungen
französischen Prinzessin Elisabeth von Valois, die als Faustpfand des
Friedens zwischen Frankreich und Spanien mit dessen König Philipp II.
verheiratet wird und, obwohl bereits mit dem Infanten Don Carlos verlobt,
diesem Opfergang schweren Herzens zustimmt. Von daher motiviert sich der
Konflikt der Frau zwischen zwei Männern, der Umstand, dass sie auch als
Königsgattin das Bild des Kronprinzen in ihrer Schmuckschatulle aufbewahrt
(den „Beweis“ ihrer angeblichen Untreue) und der Vater-Sohn-Konflikt
Im Vorfeld der „Don Carlos“-Premiere hatten zwei Sprecher der Wiener
Philharmoniker gefordert, ihr Orchester müsse unverzüglich wieder zum
„künstlerischen Zentrum“ des renommiertesten Sommerfestivals werden
(andernfalls könnte es beim Auslaufen des aktuellen Vertrags 2016 wie
bereits die Berliner Philharmoniker Salzburg den Rücken kehren und Angebote
aus Südamerika, China oder Südafrika annehmen); die Intervention zielt wohl
einerseits auf eine Gagenerhöhung, andererseits aber vor allem auf ein
Mitspracherecht bei der jetzt anstehenden Wahl des Nachfolgers von Alexander
Pereira, dem künstlerischen Leiter, der vorzeitig an die Mailänder Skala
abgeht. Man pokert hoch. Am Premierenabend aber wurde die Kapelle aus der
österreichischen Hauptstadt den höchsten Erwartungen gerecht. Unter den
Händen von Antonio Pappano lieferte sie eine glänzende Leistung ab,
musizierte die Momente des Martialischen fulminant (und niemals brutal), vor
allem die vielfältigen Farben und Nuancen der Piano-Passagen differenziert
und mit Delikatesse. Die Wiener Philharmoniker etablierten die Grundlagen
jener kaum zu beschreibende Intensität, die selbst hartgesottene Kritiker
anzurühren vermag und einen Opernabend noch lange in der Erinnerung
nachhallen lassen.
Zur intensiven Wirkung und zum integralen
musikalischen Gelingen trug nicht minder die Sänger-Crew bei, die mit Jonas
Kaufmann über einen geschmeidig lässigen Titelhelden verfügt. Über die
persönliche Tragödie breitete Kaufmann, der den Prinzen von Geblüt
beglaubigt, einen feinen Schleier des Melancholischen: einer der seltenen
Fälle, in denen man geneigt sein könnte, einem Tenor die Liebesbekundungen
abzukaufen. Souverän raumfüllend der Gegenstand seiner ewig unerfüllten
Liebe: Anja Harteros als Elisabetta hat seit ihren Anfängen am Niederrhein
vor gut zehn Jahren enorm zugelegt und singt die große schwere
Königinnenpartie großartig, bleibt dabei auch in stolzer Monarchinnenwürde
eine begehrenswerte jugendliche Liebhaberin – und avanciert zur Königin der
Herzen.
Thomas Hampson, der bis in den Tod getreue Freund, gibt den
Marquis von Posa als fast zu noblen Granden, als einen höchst feinsinnigen
Freigeist jedenfalls, dem der Liederabend im kleinen Kreis mehr liegt als
die staatspolitische Ansprache. Ekaterina Semenchuk läuft nach gewissen
Startschwierigkeiten zu einer Intrigantin von Format auf: Dieser Eboli ist
das „Herz der verletzten Löwin“ ebenso zu glauben wie die tiefe
Zerknirschung, mit der sie ihre aus Eifersucht geborenen Taten beichtet.
Matti Salminen, der große alte finnische Bass, ist als beratungsresistenter
Philipp II. ebenso imposant wie als Ehemann bemitleidenswürdig, wenn er die
Crux des Alterns beklagt und die Unfähigkeit, mit der schönen jungen
Französin übereinzukommen: „Sie hat mich nie geliebt“.
Gemessen am
musikalischen Glück, das mit dieser Verdi-Festspielproduktion beschert
wurde, blieb die szenische Dimension hilflos bis kläglich: In den günstigen
Momenten am Anfang und Ende handelte es sich um unauffällige optische
Begleitung – zunächst mit einem Winterbild, in dem sich um zwei umgestürzte
kahle Bäume und zwei Holzbeigen viel Volks sinnlos sammelte und zerstreute
(hinten im Nebel oder Schneetreiben erleuchtete Fenster des königlichen
Palasts). Infantiler Realismus des Regisseurs ließ den toten Kaiser Karl V.,
dessen Stimme Carlos zu hören glaubt, gleichsam real auferstehen: Robert
Lloyd stolziert mit Pappkrone und Plastikharnisch um seinen eigenen
Riesensarkophag, auf dem er bereits als ehernes Standbild verewigt ist. Posa
Hampson sieht aus wie ein Feuerwehrhauptmann aus jenen Farcen Georges
Courtelines, die Peter Stein in den 70er Jahren an der Berliner Schaubühne
in Szene setzte.
Überhaupt ist bemerkenswert, wie wenig sich dieser
Regisseur seit den als innovativ empfundenen Arbeiten seiner jungen Jahre
entwickelt hat: Mit ausgedörrtem Starrsinn macht er unverdrossen weiter, als
hätten Fernsehen und Film, die allgegenwärtige Werbung und insbesondere auch
die Theater selbst die optische Wahrnehmung nicht einschneidend verändert.
Grausam wurde es, als im III. Akt anlässlich des großen Festakts hinter
einer Tribüne aus Sauna-Holz ein halbes Dutzend „Ketzer“ in Trockeneisnebel
gehüllt und vor verfinstertem Himmel in gelb-rötliches Licht getaucht
wurden. Solcher dilettantischer Kitsch verhöhnt die Opfer der Inquisition
und des spanischen Hofzeremoniells aufs Neue. Den psychoanalytisch
spannenden Konstellationen blieb die Inszenierung ebenso wie dem
Historiendrama so gut wie alles schuldig: Die mobilen zwischenmenschlichen
Verhältnisse bleiben eben so wenig stehen wie die der Geschichte und zur
Geschichte, auch wenn konservativer Starrsinn sich dies einbildet.
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