ORF, 14. August 2013
Sophia Felbermair
 
Verdi: Don Carlo, Salzburger Festspiele, 13. August 2013
 
Großes Pathos, großer Triumph
 
Jedes Festspieljahr braucht den großen Opernhöhepunkt. Heuer ist das zweifellos Giuseppe Verdis „Don Carlo“. In der Inszenierung von Altmeister Peter Stein mit einem Sängerstaraufgebot von Jonas Kaufmann über Anja Harteros bis Thomas Hampson und den Wiener Philharmonikern unter der Leitung von Antonio Pappano wurde das Liebes- und Freiheitsdrama zum frenetisch gefeierten Triumph für Salzburg.
 
Salzburg ist heute das, was zu Verdis Zeiten Paris war - einer der wenigen Orte, in denen noch das Budget für große Oper vorhanden ist. Da scheint es nur konsequent, dass im Jubiläumsjahr des Komponisten mit „Don Carlo“ jenes Werk auf dem Spielplan steht, das Verdi nach dem Trauerspiel von Friedrich Schiller für Paris komponierte und das seine längste und komplexeste Oper bleiben sollte.

Königliches Liebesdrama vor politischem Hintergrund

Das Publikum seiner Zeit konnte er damit nicht begeistern, obwohl der Stoff alles enthält, was sich das Opernpublikum wünschen kann: eine große (und völlig unmögliche) Liebe, eine Männerfreundschaft bis in den Tod und Intrigen - das alles mit einem brisanten Diskurs über Freiheit und Macht in Zeiten der spanischen Inquisition.

Die Kritik vor allem an der Länge des fünfaktigen Werks ließen Verdi selbst gut 20 Jahre lang immer wieder Veränderungen - etwa die Streichung auf vier Akte und Ergänzungen beziehungsweise Modifikationen einzelner Kompositionen - vornehmen, so dass es letztlich mindestens sieben verschiedene Fassungen aus der Feder des Italieners gibt.
Werktreue im klassischen Sinn

Stein hat sich für die Umsetzung der fünfstündigen Pariser Fassung (allerdings in italienischer Sprache) entschieden - letztlich aus Gründen der Verständlichkeit, wie er im Programmheft erklärt. Nur mit dem gerne gestrichenen „Fontainebleau-Akt“ zu Beginn etwa erklärt sich die unglückliche Liebe zwischen der französischen Königstochter Elisabetta (Harteros) und dem spanischen Thronfolger Carlo (Kaufmann), die zum zentralen Thema wird, weil Elisabetta kurz darauf Carlos Vater König Filippo heiraten muss.

Man kann Stein aber nicht nur bei der Wahl der Fassung, sondern wie gewohnt auch in der Inszenierung in keinerlei Hinsicht mangelnde Werktreue vorwerfen. Im zurückhaltenden Bühnenbild von Ferdinand Wögerbauer baut er große Chorbilder genauso wie die kleine Szenen, für die er die breite Festspielhaus-Bühne mittels Vorhang beschneiden lässt. Sein Anspruch auf prägnante Bilder als „historisches Panorama“ ist dabei immer klar erkennbar, egal ob sich gerade Hundertschaften an Personal zur Autodafe-Szene des Inquisitionsgerichts versammeln oder Kaufmann in der eisigen Einöde des französischen Waldes mit seinem Schicksal hadert.

Die Inszenierung konzentriert sich auf das Wesentliche und ist klassisch, von Annamaria Heinreichs Kostümen über die Massenbewegungen (auftreten - aufreihen - singen - abtreten) zur pathetischen Gestik der Sänger. Letztere wirkt manchmal unfreiwillig komisch, wenn große Verzweiflung mit Haareraufen und Gegen-die-Wand-Schlagen überverdeutlicht wird und wenn der greise Großinquisitor (Eric Halfvarson) röchelnd die Zunge herausstreckt.

Ein musikalischer Gipfelsieg

Dabei ist die Musik zu „Don Carlo“ in puncto Emotionen gewissermaßen selbsterklärend und unter der exzellenten Leitung von Pappano ergreifend, von romantisch bis erschütternd. Der britische Dirigent und Musikdirektor der Londoner Royal Opera entlockt den auf Höchstform agierenden Philharmonikern eine Ausdrucksvielfalt, wie man sie sich nur wünschen kann. Indem er die Sänger nie zudeckt, sondern geradezu spielerisch zu fordern scheint, legt er dabei Details frei, und das am laufenden Band.

Tenor Kaufmann bestätigt in der Titelrolle seine Position an der weltweiten Spitze einmal mehr. Er gibt den Don Carlo kraftvoll und gleichzeitig ausdrucksstark differenziert. Ihm zur Seite gibt Bariton Hampson sein Rodrigo-Comeback und erweist sich noch immer als beeindruckend stimmgewaltiger Fürsprecher der Freiheitsideale.

Matti Salminen überzeugt als König Filippo, Halfvarson mit seinem satten Bass als Großinquisitor ohne Gnade. Der Glücksgriff an der insgesamt höchst luxuriösen Besetzung ist jedoch eine Frau: Harteros, die als Elisabetta mit szenischer Präsenz und einem dramatischen Sopran der Extraklasse aufwartet. Ihre glühende Intensität fesselt von Anfang an und findet in der Arie „Tu che la vanita ...“ im fünften Akt ihren Höhepunkt. Und an solchen fehlt es dem Abend nicht - die große Oper hält hier, was die „Grand opera“ verspricht.








 
 
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