Salzburger Nachrichten, 03.09.2012
DEREK WEBER
 
Verdi: Messa da Requiem, Salzburg 1.9.2012
 
Den richtigen Ton getroffen
 
Verdi-Requiem. Orchester und Chor der Scala di Milano musizierten unter Daniel Barenboim.
 
Irgendetwas muss an Verdis Requiem, dem ja oft unreligiöse Züge nachgesagt werden, wohl dran sein, was über das Brecht’sche „Ihr sterbt mit den Tieren, und es kommt nichts danach“ hinausgeht. Nicht Metaphysik, aber immerhin doch – Trotz: Wie sonst wäre es zu erklären, dass im KZ Theresienstadt, nachdem der erste Transport in die Vernichtungslager abgegangen war, sofort die Lücken im Chor geschlossen wurden, um gerade das Verdi-Requiem weiter aufführen zu können. Trotz Angst, menschliche Größe im Angesicht des Schreckens „jenes Tages“, der im „Dies irae“ beschworen wird: Das ist wahrscheinlich das Zauberwort, das wirklich „Weltliche“, der Schlüssel zu diesem Werk. Wer diesen Trotz in einzelnen Noten suchen wollte, würde nicht fündig werden. Er steht zwischen den Zeilen.

Daniel Barenboim ist diesem Kern am Samstag im Großen Festspielhaus ziemlich nahe gekommen: In einem aus dem Nichts kommenden x-fachen Pianissimo der Streicher lässt er das Werk beginnen. Dann setzt, mit einem fast tonlos gehauchten, deklamierten „Requiem“, der Chor ein. Immer wieder kehren Chor und Solisten später zu diesem nicht oft zu hörenden Tonfall zurück.

Wer hätte sich vorstellen können, dass der Chor und das Orchester der Mailänder Scala im Ausland mit Sängerinnen und Sängern erster Güte, aber ohne einen einzigen italienischen Solisten gastieren? Es gibt immer noch gute Sänger in Italien, aber ein so klug zusammengestelltes, kultiviertes, makellos singendes Solistenquartett mit ähnlich zugkräftigen Namen wie Anja Harteros, Elina Garanca, Jonas Kaufmann und René Pape wird man dort kaum auftreiben können. Anja Harteros ist weit von dem üblichen Aida-Sopran entfernt, der normalerweise eingesetzt wird. Sie hat eine schlanke Stimme, verfügt über sicher und fein geführte Höhen. Auch Elina Garanca entspricht nicht dem gängigen Verdi-Mezzo; so harmonieren (wie im „Agnus Dei“) die beiden hohen Stimmen wunderbar miteinander. Jonas Kaufmann ist eine Tenorkategorie für sich und René Pape hat sich eine noble Zurückhaltung erschlossen, bei der die Stimme nicht auftrumpfen muss, wo sie nicht soll.

Der stark besetzte Scala-Chor singt mit großem Einsatz, kommt daher an den exponierten Fortissimo-Stellen an die Grenzen der klaren Artikulation. Aber das mag auch am Dirigenten liegen. Barenboim treibt Chor und Orchester in die Grenzregionen des Fortissimo, sodass die Balance zwischen Chor und Orchester brüchig wird und die Solisten, obwohl voll aussingend, etwa am Ende des „Kyrie“ nur mehr mit Mühe zu hören sind. Auch die Streicher sind nicht immer in der Deutlichkeit wahrnehmbar, die sie haben sollten.

Aber: Es war insgesamt ein mitreißendes, den richtigen Grundton findendes Konzert, bei dem sich das „Requiem“ nie ins Oberflächlich-Opernhafte verirrte.










 
 
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