Kieler Nachrichten, 04.04.2012
Von Jürgen Gahre
 
Mahler: Das Lied von der Erde, Salzburg, 3. April 2012
 
Symphonischer Luxus
 
Berliner Philharmoniker nehmen Abschied von Osterfestspielen in Salzburg

Die Salzburger Osterfestspiele der Berliner Philharmoniker können auf eine lange Tradition zurückblicken, und Teil dieser Tradition ist natürlich die Programmgestaltung, die auch von Christian Thielemann befolgt wird, der mit seiner Sächsischen Staatskapelle Dresden die Nachfolge von Simon Rattle und den Berlinern im nächsten Jahr antreten wird:

Berlin. Die Festspiele werden am Sonnabend vor Palmsonntag mit der Neuinszenierung einer Oper eröffnet, der an den darauf folgenden drei Tagen Konzerte folgen. Die meisten Besucher abonnieren alle vier Veranstaltungen. Dieser Zyklus wiederholt sich dann über Ostern, allerdings in umgekehrter Reihenfolge.

In diesem Jahr folgte der „Carmen“-Première die Aufführung der Achten Sinfonie von Anton Bruckner, dirigiert von Zubin Mehta. Wer den in Bombay geborenen Maestro in erster Linie als musikalischen Gourmet oder als einen Star in Erinnerung hat, dem Mega-Events wie die ‚Drei Tenöre’ oder die Aufführung von Puccinis „Turandot“ in der ‚verbotenen Stadt’ Peking und andere massenwirksame Auftritte mehr am Herzen liegen als die ernsthafte Beschäftigung mit sinfonischen Werken im Konzertsaal, der dürfte von seiner Interpretation der strukturell außerordentlich komplexen, in hohem Grade spirituellen Achten des Meisters von St. Florian wenig erwarten. Wie schön aber, dass Vorurteile revidiert werden können! Denn wie Mehta die gigantische c-Moll Sinfonie formte, wie er mit sparsamen Gesten ein Optimum an Spielkultur und eine ganz außergewöhnliche Intensität des Ausdrucks erreichte, das war begeisternd. Immer und immer wieder konnte man sich an dem herrlich innigen und dabei stets transparenten Klang der Berliner Philharmoniker erfreuen, konnte die zum Niederknien schön spielenden Bläser bewundern und im samtenen Klang der Streicher schwelgen. Hier war ein großer Meister am Werk, der genau wusste, wie er die Höhepunkte der Sinfonie in immer neuem Anlauf anzusteuern hatte, um sie dann zu ekstatischer Entladung zu führen. Ein so einzigartiges Bruckner-Erlebnis hätte man Zubin Mehta wahrlich nicht zugetraut!

Für das Chorkonzert hat Simon Rattle ein ungewöhnliches Programm zusammengestellt: Dem selten zu hörenden „Nachtlied“ für Chor und Orchester op. 108, einer stimmungsvollen Vertonung des gleichnamigen Gedichts von Friedrich Hebbel, folgte eine weitere Komposition von Robert Schumann, das Klavierkonzert a-Moll op. 54. Murray Perahia, einer der renommiertesten Pianisten unserer Zeit, spielte den Solopart zwar mit sicherem Zugriff und stupender Virtuosität, ließ es aber oft an poetischen Nuancierungen fehlen. Dem Requiem von Gabriel Fauré stellte Rattle das kurze, von Kate Royal gesungene „O King“ von Luciano Berio voran. Das sanfte, Trost spendende Requiem, das ganz ohne das die Höllenqualen heraufbeschwörende ‚Dies Irae’ auskommt, liegt Rattle ganz besonders, und so gelang ihm eine Interpretation von seltener Geschlossenheit und poetischer Dichte. Der Rundfunkchor Berlin und die Gesangssolisten Kate Royal (Sopran) und Christian Gerhaher (Bariton) erwiesen sich als verlässliche Partner.

Im dritten und letzten Konzert konnten die Berliner Philharmoniker auf geradezu grandiose Weise ihre Weltklasse-Qualitäten beweisen. In Beethovens B-Dur Klavierkonzert begleiteten sie Emanuel Ax mit feinem Gespür für dessen ungemein ausgefeiltes Spiel, das den pfiffigen Nuancen dieses frischen Jugendwerkes mit Witz und Übermut nachspürte. Und in Gustav Mahlers „Lied von der Erde“ konnte man erleben, wie Rattle seinen Klangsensualismus mit analytischer Schärfe verband und so mit nie gehörten Details zu begeistern wusste. Jonas Kaufmann konnte zwar nicht gerade mit tenoralem Glanz punkten, wohl aber mit souveräner Gestaltungskunst. Anne Sophie von Otter gerieten „Der Einsame im Nebel“ und „Von der Schönheit“ etwas anämisch. In „Der Abschied“ aber blühte ihr herrlicher Mezzosopran auf, gewann Farbe und wurde ausdrucksstark. Ihre letzten Worte „ewig … ewig … ewig …“ klangen noch lange nach, schwerelos und unendlich melancholisch. Das Publikum reagierte mit langem Schweigen und dann mit umso frenetischerer Zustimmung.

 






 
 
  www.jkaufmann.info back top