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Derek Weber
Wagner: Lohengrin, Teatro alla Scala, 7. Dezember 2012
 
Des einen Schwan, des andern Freud  
 
Wie die Mailänder Scala dank "Lohengrin" im 20. Jahrhundert ankam - Claus Guth inszenierte Wagners Schwanendrama, Daniel Barenboim dirigierte - und Annette Dasch sprang beherzt ein

(Mailand, 7. Dezember 2012) Früher war das Einspringen für Sänger gewiss einfacher: Auftritt links, Auftritt rechts, ran an die Rampe und raus mit den hohen ABCs samt Standardgesten. Heute wird da schon mehr verlangt. Auch an der Mailänder Scala. Und nicht zuletzt dann, wenn der Regisseur des neuen "Lohengrin" zur Saisoneröffnung 2012/13 Claus Guth heißt. Umso beeindruckender war die Leistung von Annette Dasch als der für die inaugurazione vom 7. Dezember überhaupt nicht vorgesehene Letztbesetzung der Elsa von Brabant: Nach zwei krankheitsbedingten Ausfällen (Anja Harteros und Ann Peterson) wurde Annette Dasch am Abend vor der Premiere aus Berlin eingeflogen. Da sie das Regie­konzept nicht kannte, probte sie den ganzen Tag und siegte auf der ganzen Linie. Der Jubel für ihre Elsa wurde nur noch von den Gunstbezeigungen für Jonas Kaufmanns Lohen­grin und den Dirigenten Daniel Barenboim über­troffen. Und Elsa sang tags darauf in Berlin wieder Mozart.

Überhaupt: Dieser "Lohengrin" war die musikalisch wie von der Regie her wahr­scheinlich beste Saisoneröffnungs-Premiere der Ära Lissner am Teatro alla Scala. Daniel Barenboim hatte zwar über weite Strecken die ihm eigenen langsamen Tempi gewählt, aber er erfüllte die Musik mit einer inneren Spannung, die von der ersten Sekunde an spürbar war und sich immer wieder zu eruptiven Klangkaskaden (wie dem dynamischen Vorspiel zum 3. Akt) aufschwang.

Dabei scheint es hinter den Kulissen ein kleines italo-europäisches Durcheinander gegeben zu haben: Der eine Premieren-Ehrengast namens Barroso saß in Brüssel fest; den anderen beiden, Premierminister Monti und Staatspräsident Napolitano, hatte Silvio Berlusconis Ankündigung, der Regierung das Vertrauen zu entziehen, einen Strich durch die Rechnung gemacht. Das stellte diesmal sogar die traditio­nellen Proteste am Platz vor der Scala in den Schatten. Und sorgte im Haus selbst für gehöriges Durcheinander: Der bei der Generalprobe geprobte "Inno di Mameli", die italienische Hymne, entfiel. (Einer anderen Version zufolge soll Barenboim einfach in der Aufregung vergessen haben, sie anzustimmen.)

Wie dem auch sei: Die Hymne wurde nach Ende der Vorstellung - auf offener Bühne - mit Chor und Text nachgeholt, sozusagen als Extra-Einlage zwischen dem Applaus für die Sänger und dem pflichtgemäßen, aber mäßigen Buhkonzert für den Regisseur, dessen anspielungsreiche und psychologisch angereicherte Regie das Teatro alla Scala einen Schritt näher ans vorige Jahrhundert herangeführt hat.

Dieser "Lohengrin" spielt zur Ent­stehungszeit der Oper. Die Zeiten, in denen die Männer enthusiastisch auf ihre Schilde klopfen durften, sind suspendiert: Der Chor wird samt Heerrufer (Zeljko Lucic) dezent in den Hintergrund verbannt. Auch der Hochzeitschor ertönt aus dem Off. Und immer wieder tauchen Personen, die man nicht erwartet, weil sie grad nichts zu singen haben, unvermutet aber motiviert, auf der Bühne auf. König Heinrich (René Pape) wirkt stimmlich zivilisiert und angenehm unmartialisch. Tómas Tómasson bellt sich böse durch die Partie des Telramund. Die schwarze Ortrud (Evelyn Herlitzius) erinnert als Erscheinung stark an Cosima Wagner, singt exzellent und - wie es sich für die Rolle gehört - zuweilen an der Grenze zum schrillen Über­steuern. Ein Klavier - wohl Richard seins - hat eine starke Bühnenpräsenz.

Der pflichtgemäß ausgebuhte Regisseur Claus Guth zeigt Elsa wie Lohengrin als traumatisierte, naive Naturjugendliche. Psychologie statt (und doch auch mit) Mythos: Der kleine Gottfried und der große Lohengrin tragen an Stelle des einen Arms einen weißen Schwanen­flügel. Auch Ironie ist im Spiel: Bevor der Schwan zu Erscheinen pflegt, fallen ein paar weiße Federn vom Himmel. Elsa ist keine verhuschte deutsche Edelfrau. Sie leidet ebenso an psychosomatischen Zuckungen wie dieser Lohengrin selbst, ein "Nerverl", das ganz unheldisch nicht damit zurechtkommt, den Grafen Telramund zu Recht und schon gar nicht im Einklang mit Wagners Musik abgemurkst zu haben. Kein Wunder, dass der keine silberne Rüstung tragen darf. Ein sensibler Kommentar von Claus Guth zum anbrechenden Wagnerjahr.

Die schwelende Polemik über die Frage, ob man denn 2013 in Mailand nicht besser das Verdi- als das Wagnerjahr feiern solle, wurde durch diese Premiere mit einem salomonischen Sowohl-als-auch beantwortet, was nicht nur der exzellenten Aufführung, sondern wohl auch der Tatsache zuzuschreiben ist, dass "Lohengrin" Wagners wohl "italienischeste" und Belcanto-nächste Oper ist. Das ganze Saison­programm der Scala steht im Zeichen dieses Kompromisses: mit Wagners "Ring" und einer ganzen Reihe von Verdi-Opern.

Das Wagner-Thema wird in Mailand gerade recht emotional abgehandelt. Trotz aller Kritik an Lissner: Zusammen mit Daniel Barenboim hat er das internationale Profil der Scala in der Nach-Muti-Ära geschärft. Das Rad der Geschichte wird wohl auch in Mailand nicht mehr zurückgedreht werden können, auch wenn die Firma Lissner, Barenboim & Co - wie zu erwarten ist - 2015 ihr Hauptquartier nach Paris verlegen wird.







 
 
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