|
|
|
|
Der Tagesspiegel, 9.12.2012 |
von Frederik Hanssen |
|
Wagner: Lohengrin, Teatro alla Scala, 7. Dezember 2012 |
|
Butterweich vom Himmel |
|
Daniel Barenboim und Claus Guth eröffnen die Saison der Mailänder Scala mit Wagners „Lohengrin“. |
|
Von außen betrachtet ist es nur die teuerste Premiere der Welt – für die
Italiener aber wird die Saisoneröffnung des Teatro alla Scala schnell eine
Frage der Ehre. Zum Beispiel, wenn als Startschuss für das
Doppel-Jubiläumsjahr 2013, in dem sowohl der 200. Geburtstag von Giuseppe
Verdi als auch von Richard Wagner gefeiert wird, ausgerechnet ein neuer
„Lohengrin“ im Mailänder Opernhaus herauskommen soll. Dann kochen die
Emotionen hoch. Gerade in Zeiten der Krise, heißt es da in wütenden
Kommentaren, müsste es doch eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, den
wichtigsten Tag im nationalen Kulturkalender dem Komponisten aus dem eigenen
Lande vorzubehalten.
Da hilft es wenig, wenn Stephane Lissner, der
französische Intendant der Scala, betont, man zeige doch im Laufe der Saison
sieben Werke Verdis und nur sechs von Wagner. Andererseits ist mit Daniel
Barenboim eben auch einer der besten Wagner-Interpreten der Welt
Generalmusikdirektor des Hauses. Und der will nicht nur den mit der Berliner
Staatsoper koproduzierten „Ring des Nibelungen“ zyklisch aufführen, was in
Mailand zuletzt vor 75 Jahren der Fall war, sondern eben auch den
gesellschaftlich so wichtigen Eröffnungsabend gestalten.
Erst recht
zur Staatsaffäre wird die Chose, als sich Italiens Präsident Giorgio
Napolitano dazu veranlasst sieht, einen Brief an Barenboim zu
veröffentlichen, in dem er bedauert, nicht wie sonst zur Eröffnungspremiere
anreisen zu können, weil ihn wichtige Amtsgeschäfte in Rom zurückhalten. Mit
der „Lohengrin“-Produktion allerdings habe das, verehrter Maestro, nicht das
Geringste zu tun.
Ganz unzweideutig fällt am Freitag dagegen der
Kommentar von oben aus. Als das von Dutzenden Schaulustigen und ebenso
vielen Demonstranten aus der linken Szene erwartete Defilee der anrollenden
Prominenz vor der Scala beginnen soll, setzt ein geradezu teutonisches
Schneetreiben ein. Wer Wagner wählt, bekommt auch deutsches Wetter!
Gekommen sind sie dennoch alle: Das italienische Großbürgertum und mancher
Vertreter des neureichen Geldadels, der beweisen will, dass er sich
Ticketpreise von bis zu 2400 Euro leisten kann. Ungleich mehr haben
vermutlich die Outfits der sie begleitenden Damen gekostet. Eine junge Frau
hat sich mit großen Amuletten und wenig Stoff als Aida verkleidet, eine
andere als Walküre mit goldenem Kopfputz. Und dann ist da noch die
hochgewachsene Blondine mit den aufgespritzten Lippen, die in Berliner
Opernhäusern garantiert ein Transvestit wäre, hier aber im Zweifelsfall eine
bekannte Ansagerin aus dem Privatfernsehen ist.
Ach ja, eine
Aufführung findet auch noch statt: eine musikalisch packende, szenisch
äußerst rätselhafte. Regisseur Claus Guth, von dem in Berlin im Sommer an
der Berliner Staatsoper ein atemberaubender „Don Giovanni“ zu erleben war,
verlegt die Geschichte aus dem Mittelalter ins späte 19. Jahrhundert.
Ausstatter Christian Schmidt hat eine Kaserne auf die Scala-Bühne gestellt,
drei Etagen hoch, Stahlskelettbauweise. Und ein Klavier, Symbolinstrument
der bürgerlichen Erziehung, an dem Elsa Etüden ackern muss, während
Hauslehrerin Ortrud immer wieder den Knickwinkel der Hände korrigiert. Bei
Wagner ist diese Ortrud eine Frau, die mit heidnischem Zauber gegen die
christliche Welt der Ritter kämpft. Viel gefährlicher als raunender
Aberglaube aber, so behauptet der Regisseur, ist das rational denkende Böse.
Und so repräsentieren Telramund und Ortrud in strenger schwarzer Kleidung
hier das rationale Prinzip, während Elsa vom ungezwungenen Leben in der
Natur träumt. Die lustfeindlichen Erziehungsmethoden lösen bei ihr Juckreiz
und nervöse Ticks aus. Als Retter erträumt sie sich darum einen barfüßigen
Lohengrin, das Brautgemach des 3. Akts wird zur Liebesszene unter freiem
Himmel, am schilfumstandenen Weiher. Im Matsch liegt, mit den Tasten nach
oben, das umgekippte Folterinstrument.
Ganz geht diese Deutung nicht
auf, dem steht doch die schwülstige Ausdrucksweise der Freiheitsliebenden
entgegen. Und auch die Rolle des kriegstreiberischen Königs Heinrich samt
seiner waffenklirrenden Mannen bleibt zu ambivalent. Eine schöne
Schlusspointe nach all der Militarismuskritik ist es allerdings, als
Barenboim in den Schlussapplaus hinein die italienische Nationalhymne
spielen lässt, eine knallige Tschingderassabumm- Musik, die alle schon zu
Beginn des Abends erwartet hatten. Dem ätherisch- schwebenden
„Lohengrin“-Vorspiel mag der Maestro jedoch nichts voranstellen. Schon gar
nicht hier in diesem besonderen Raum. Der klassizistische Saal mit seinen
sieben Logenreihen scheint ein gigantischer Geigenkorpus zu sein, wenn die
Streicher im Pianissimo anheben. Butterweich, ja geradezu vanillecremig
klingt das Orchester, wobei die hohen Violinen direkt aus dem Himmel
herabzuschweben scheinen. Sobald Sänger dazukommen, dominieren diese das
Klangbild, das dann merkwürdig altmodisch anmutet, weil die Stimmen dem
Hörer ganz nah kommen, dabei aber dumpf bleiben, wie in Mono. Stereosound
entfaltet nur der Chor, dann aber umso wuchtiger.
Man kann die
„Lohengrin“-Partitur durchsichtiger und präziser realisieren als die
professori d’orchestra der Scala. Doch was die Gluttemperaturen der
Leidenschaft betrifft, wirkt diese von Barenboim mit maximaler Energie
befeuerte Interpretation unmittelbar und packend. Jonas Kaufmanns
Lohengrin klingt in den leisen Momenten dank der baritonalen Färbung seiner
Stimme sehr männlich, kann aber auch mühelos edelstählernen Tenorglanz
erzeugen. Evelyn Herlitzius ist hier die Idealbesetzung für die
Ortrud: stolz, schön, berechnend. Eine rhetorisch unbesiegbare Gegnerin mit
hellem, scharfem Organ, während Tomas Tomassons Telramund zu oft
unfreiwillig hässlich klingt. Als Retterin des Abends aber wird Annette
Dasch gefeiert, die für die erkrankte Elsa-Darstellerin Anja Harteros
eingeflogen wurde: Der mädchenhaften Natürlichkeit ihres Spiels, dem
Blütenweiß ihres Soprans muss man einfach erliegen. |
|
|
|
|
|
|
|
|